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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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kleine Nichte. Die Frau ist tot. Wie jeder, der mir im Wege steht. Was habe ich zu verlieren? Ich werde dein Geld und deine Juwelen nehmen, um aus dem Lande zu fliehen. Mit den Ringen an deinen Fingern werde ich mir die Frau kaufen, die ich will, wenn ich dich geschickt habe, deiner Mutter Gesellschaft zu leisten. Auch sie versuchte ihr Geld zu verstecken, aber ich wußte, daß sie es hatte. Sie wagte es, mich ein Ungeheuer zu nennen – sie, die jedes lebende Ungeheuer in den Schatten stellte. Mein Stock hat sie überzeugt. Wie töricht sie war. Und alles wegen fünf Goldlouisdors. Aber ich wurde nicht enttäuscht, denn sie führte mich zu dir. Und jetzt, Nichte, will ich wissen, wo deine Geldschatulle ist –« Mutter, wie um alles in der Welt hatte eine blinde, schwachsinnige Frau mich erkannt? Und was hatte er dort in der Rue des Marmousets getan?
    »Wie schlau von Euch, Oheim, mich hier aufzuspüren. Sicher hat Mutter Euch nicht gesagt, wo ich wohne.« Er lächelte, für kurze Zeit durch die Betrachtung seines glänzenden Verstandes abgelenkt.
    »Wie dumm du warst, Nichte. Du ließest deine Maske fallen. Welche Wahrsagerin verschenkt lieber Geld, statt es zu nehmen? Sie sagte, mehr habe sie nicht für mich – Marie-Angélique sei zu Besuch gekommen und habe ihr kaum etwas gegeben. Der Stallbursche aber hatte die berühmte Marquise de Morville aus der Hintertüre fortgehen sehen. Es hätte selbst einem Narren eingeleuchtet. Die blinde Frau hatte die Stimme ihrer Tochter erkannt. Nur war es die falsche Tochter.«
    Ich hörte das Atmen hinter dem Wandschirm. Wie eine Katze lugte Mustafa hervor. Ich mußte zusehen, daß Onkel die Augen nicht von mir wandte. »Was habt Ihr Mutter angetan?«
    Onkel kam näher, sein Blick verschlagen, triumphierend. Mustafa durchquerte den Raum und trat hinter ihn, seine türkischen Pantoffeln machten auf dem dicken Teppich nicht das leiseste Geräusch.
    »Ich half, ihrem Elend auf Erden ein Ende zu machen«, erwiderte Onkel, »wie ich jetzt – dir – helfen werde –« Ich sah ihn mit dem Stock ausholen, und instinktiv den Arm vor mein Gesicht hebend, schrie ich und stürzte, als der Knochen unter dem Hieb brach. Im nächsten Augenblick fiel Onkel auf mich.
    »Faßt mich nicht an, zieht nicht an meinem Arm!« schrie ich, als Gilles Onkels Körper von mir wälzte und Sylvie mich aufrichten wollte. »Er hat ihn mir gebrochen. Ich schwöre, ich habe gehört, wie der Knochen brach.«
    »Von nun an wird er nichts mehr brechen, das ist gewiß«, bemerkte Gilles ruhig, als er den Körper mit seinem Fuß umdrehte. Zwei Messer steckten tief im Rücken des Chevalier de Saint-Laurent. »Ich meine, das zweite Messer war vollkommen überflüssig, Mustafa – das erste ist, scheint mir, ins Herz gedrungen.«
    »O Gott, du hast ihn getötet.«
    »Gewiß ist es Madame nicht leid um ihn«, sagte Sylvie.
    »Nein, Sylvie«, erwiderte ich, noch auf dem Fußboden liegend. »Das Problem ist, den Leichnam zu beseitigen.«
    »Problem, Madame? Wir verscharren ihn heute nacht im Garten.«
    »Auf daß die Nachbarn aufmerksam werden? Der Garten ist zu klein, und die Mauer ist direkt unter den Fenstern des Nachbarhauses.«
    »Madame hat recht.« Sylvie seufzte.
    »Und Gilles, glaube nur nicht, du könntest es riskieren, ihn heute nacht in den Fluß zu werfen. Du weißt, es interessiert die Polizei ungemein, wer des Nachts ein und aus geht, seit d'Urbecs Blut die Straße befleckt hat.« Gilles wußte, daß ich recht hatte. Meinen Arm haltend, richtete ich mich langsam auf und ging zu meinem Lehnstuhl. »Sylvie, bitte hole mir mein Labsal.« Eine Idee nahm Formen an, während Sylvie die Treppe hinauftappte. »Cleopatra – ha, die klassische Bildung hat doch etwas für sich. Gilles, würdest du mit Mustafa meinen Oheim in den Teppich rollen? Ich meine, wir müssen ihn zum Reinigen schicken. Ich will ihn aus dem Hause haben, bevor Chauvet kommt, meinen Arm zu schienen.«
    Am späten Nachmittag sahen alle Nachbarn einen Karren vor der Haustüre vorfahren und zwei Lakaien unter Anleitung einer Dienstmagd einen schweren, zusammengerollten Teppich aufladen, um ihn zum Reinigen zu schicken. Der Klatsch der Nachbarschaft verbreitete die Nachricht von dem großen Glück, durch das ein schrecklicher Unfall verhütet wurde. Ein umgestürzter Leuchter, ein schlimmer Brandfleck, der eine Reinigung und Ausbesserung nötig machte.
    »Man stelle sich vor, was das kostet! Es ist ein Jammer, der Teppich sieht so wertvoll aus!«

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