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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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bevor ich fort muß.« Er sagte es mir erst tags zuvor beim Frühstück, während er ein Brötchen mit Butter bestrich. Belustigung sprach aus seinen dunklen Augen, als er Großmutters Papagei ein Stückchen Kruste reichte. Der Vogel schnappte es und zerbröselte es zu Krümeln, die über seine gefiederte Brust rieselten. »Hübscher Vogel, hübscher Vogel. Kluger d'Urbec. Kluger d'Urbec – Geneviève, lernt dein Vogel nie etwas Neues?«
    »Nur wenn es ihm gefällt.«
    »Er ist ein stures Wesen – mir selbst nicht unähnlich, nehme ich an. Komm schon, Lorito. Sage ›hübscher Vogel‹. Es wird höchste Zeit, daß du aufhörst, nach Art der Protestanten Höllenfeuer und Verdammnis zu verkünden.«
    »Feuer und Schwefel«, plapperte der Vogel und fuhr fort, seine Körner zu knacken.
    »Starrköpfiger Vogel. Wirst du mich vermissen, wenn ich fort bin?«
    »Hölle und Verdammnis.«
    »Das ist auch eine Antwort«, fand ich. Herbst lag in der Luft, wenngleich die Tage noch warm waren.
    »Wir wollen etwas besonders Schönes tun, Geneviève. Ich möchte dich heute nachmittag auf dem Cours de la Reine spazierenfahren, und später gehen wir inkognito in die Oper. Sie spielen eine neue Oper von Lully. Die Bühnenmechanik soll ein Wunderwerk sein. Was meinst du, würde dir das gefallen?«
    »Oh, göttlich, Florent, und ich habe genau das richtige Kleid dafür. Ich bewahre es seit langer Zeit – alle haben gesagt, das sei dumm von mir, jetzt ist es einfach vollkommen.« Aber als ich Sylvie die Augen zusammenkneifen sah, während sie das rosa Seidenkleid aus seiner Musselinhülle nahm, da wußte ich, daß sie mich binnen eines Tages an die Schattenkönigin verraten würde. Doch es machte mir nichts aus, denn als ich das Kleid anzog, war etwas Merkwürdiges geschehen. Ich stand vor dem Spiegel und bewunderte die gestickten Blumen, die schimmernde rosa- und elfenbeinfarbene Seide, und plötzlich merkte ich, daß ich die Farben richtig sah, nicht durch eine blutrot überzogene Fläche. Ich sah nichts im Spiegel. Nichts als ein Mädchen mit einer hübschen Taille, dunklen Haaren und leuchtenden grauen Augen.
    Am nächsten Morgen, als d'Urbec abgereist war und ich die neuen Schnallen aus Similisteinen an Sylvies Schuhen entdeckte, da wußte ich, daß die Tat vollbracht war. Die Hexenmeisterin hatte alles erfahren. Der Tag der Abrechnung. Er kommt immer. Aber ich dachte an Florents Gesicht, als er mich hinter dem Wandschirm hervorkommen sah in dem Kleid, das ich, wie ich nun wußte, für ihn aufbewahrt hatte. Und ich spürte noch seine Küsse auf meinem Hals, indes er murmelte: » – zu jung und liebreizend, um Schwarz zu tragen –« Der Tag der Abrechnung hatte nichts zu bedeuten. Ich konnte mit allem fertig werden.
    Ich nahm an diesem Mittwoch nachmittag eine Sänfte zur Rue Beauregard, denn ich hatte meine Mietkutsche während der Wochen, in denen ich mit d'Urbec zusammen war, aufgegeben, um Geld zu sparen. Madame war in ihrem schwarzen Salon mit der Aufstellung einer neuen Standuhr beschäftigt, die sowohl die Mondphasen als auch die Stunden anzeigte. Als die schwitzenden Träger sie in der Ecke neben dem Porzellanschrank abstellten, sagte sie: »Nein, ich habe es mir anders überlegt. Nicht da drüben. Lieber gegenüber dem Fenster. Hier lenkt sie von meinen objets d'art ab.« Die Blendläden waren geschlossen, um Hitze und Staub abzuhalten, und hüllten den Raum in Dämmerlicht. Der Geruch der parfümierten Kerzen, die ständig zu Füßen der Muttergottesstatue brannten, gemahnte mich an Begräbnisse. Madame jedoch war äußerst lebendig; Schweiß rann unter ihrer weißen Spitzenhaube hervor, indes sie sich mit einer Hand fächelte und mit der anderen gestikulierte.
    »Oh, da bist du ja endlich, Madame Bleib-im-Bett«, rief sie mir zu. »Du wirst dich gedulden müssen. Ich erwarte Madame Poulaillon.« Ich schlenderte in die Küche, die Rechnungsbücher unter dem Arm, um zu sehen, ob vom gestrigen jour fixe noch Naschwerk übrig war.
    »Es ist nichts mehr da«, begrüßte mich der alte Montvoisin an der Küchentüre. Krümel rieselten an seinem tabakfleckigen Hemd hinab. Seine alten Kniehosen sahen aus, als hätte er darin geschlafen. Er trug noch seine Pantoffeln, und seinen Kopf zierte ein Handtuch anstelle der glänzenden Roßhaarperücke, die er neuerdings an Werktagen zu tragen pflegte. »Hier, nehmt statt dessen etwas Schnupftabak.« Er griff in seine Tasche und zog eine billige Schnupftabakdose aus Zinn hervor.
    »Nein

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