Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
verdankten. Und sie hatte ihre Bücher voller Geheimnisse. »Oh, mein liebes kleines Mädchen ist verschwunden! Könnt Ihr das Herz einer armen Mutter heilen?« Tränen, etwas Geld, die Andeutung einer Denunziation. Wer würde einer bekümmerten Mutter nicht beistehen und sich an der Suche beteiligen?
    »Oh, das ist schlimm«, pflichtete ich ihr bei. »Sie sollte wirklich auf Leute hören, die es gut mit ihr meinen.« Die Schattenkönigin funkelte mich mißtrauisch an.
    »Ich hoffe sehr, du meinst das nicht sarkastisch, Mademoiselle. Wann hast du je auf mich gehört? Und ich vermute, nach deinen jüngsten Ausschweifungen hast du nicht einen Sou für mich.«
    Hier aber spielte ich meine Trumpfkarte aus. »In den letzten beiden Wochen war nichts, aber ich bin eingeladen, vor dem König zu erscheinen, wenn er nächste Woche nach St. Germain-en-Laye zurückkehrt. Man sagt, er liebt Neuheiten, und meine Reputation ist endlich bis zu ihm gedrungen.« La Voisin holte tief Atem.
    »Buckingham«, flüsterte sie.
    »Er oder Primi.«
    »Nein, nicht Visconti. Er ist dein Rivale. Er würde dich nicht an so erlauchter Stelle empfehlen. Ah! So erlaucht! Ich habe es gewußt! Deine Redeweise! Deine Manieren! Es gibt keinen Ersatz für das Echte, habe ich immer gesagt. Und wer hat dich ausgestattet, daß du so hoch fliegen kannst?«
    »Ihr, Madame, und ich bin Euch dankbar. Ich beabsichtige, das Beste aus der Gelegenheit zu machen.«
    »Ah! Da spricht mein Mädchen, mein liebes Mädchen! Echter als meine eigene Tochter – oder besser Stieftochter. Gehe sorgfältig zu Werke, meine Liebe, und du wirst womöglich noch Visconti an seiner Seite ersetzen.« Was dies betraf, hatte ich meine Zweifel. Der König wollte sich nicht von einer Frau wahrsagen lassen. Er nahm nie einen Rat von Frauen an, das sagte zumindest Madame de Montespan, die es wissen mußte. Sie brachte einen Vorschlag behutsam auf den Weg, in einen Scherz verkleidet, oder sie mußte brav um einen Gefallen bitten, wie ein unbekümmertes Kind um Naschwerk bettelt. Und das, obwohl sie eine gewitzte Frau war. Natürlich half es, ihn mit Aphrodisiaka zu betäuben, aber dieser Weg stand mir nicht offen. Nein – doch sollte ich ihn amüsieren, würde man mich vielleicht wieder holen, wenn der Hof sich langweilte. Denn der König, umgeben von Protokollen und unterwürfigen Höflingen, litt schwer unter Langeweile. Auch deswegen hatte er Primi mit seinem blendenden, boshaften Witz und seiner Unverschämtheit gern an seiner Seite. An einem modernen Hof war der Hofnarr der alten Art aus der Mode geraten.
    Aber die Schattenkönigin war überschwenglich. Eine Flasche erlesenen Weines mußte aus ihrem Keller geholt werden, und sogar der alte Antoine und ihr ältester Sohn bekamen ein Glas angeboten.
    »O ja, und das Marzipan. Ich weiß, welche Vorliebe du dafür hegst, kleine Marquise!« Und mit einem listigen Seitenblick schloß sie den Geheimschrank auf, wo sie es versteckt hielt. Und sie weidete sich daran, daß ich nach beinahe fünf Jahren noch immer nicht herausgefunden hatte, woher sie es bekam. Das beste von Paris. Ich konnte Opium bekommen, ich konnte Arsenik bekommen, ich konnte Herzen von Schweinen und Zehennägel von Kröten bekommen, aber dieses Marzipan, das konnte ich nicht bekommen. Sie amüsierte sich jedesmal, wenn sie es holte. Eine Leckerei für das Kindchen. Höchst ärgerlich. Aber so köstlich, klebrig süß und schwer, mit dem Aroma von Mandeln und einer Spur von etwas anderem, Geheimnisvollem. Und die kleinen Formen, so geschickt gefärbt. Ich konnte nicht widerstehen.
    Ich war beschwipst, als der Zweitälteste Sohn der Montvoisins von der Ecke, an der die Sänften zu mieten waren, mit einem besonders heruntergekommenen Exemplar und zwei ebenso heruntergekommenen Trägern zurückkehrte.
    »Ich sagte ihnen, Ihr seid leicht und gebt ein gutes Trinkgeld, sonst wären sie vielleicht nicht mitgekommen«, verkündete er, und ich verstand den Hinweis und gab auch ihm ein gutes Trinkgeld.
    Einen Häuserblock von La Voisins Villa entfernt, beugte ich mich aus dem unverglasten Fenster der Sänfte und rief den Trägern zu: »Ich habe es mir anders überlegt. Zur Hauptstraße des Faubourg St. Antoine bitte.« Doch anstatt die Richtung zu wechseln, setzten die Träger die Sänfte ab.
    »Unmöglich, Madame«, sagte derjenige, der vorne ging. »Das ist heute lebensgefährlich für uns.«
    »Warum, um alles in der Welt?«
    »Den ganzen Tag herrscht Aufruhr in der Gegend«,

Weitere Kostenlose Bücher