Die Hexe von Paris
Zeit zum Nachdenken«, fuhr er fort. »Die Luft kühlt das Gehirn, nehme ich an. Es gab eine Zeit, da brannte ich darauf, ein Vermögen zu verdienen, um es Euch zu Füßen zu legen. Dann brannte ich ebensosehr darauf, Euch tot und verdammt zu sehen. Das ist wohl der Makel im Charakter der Südländer – zuviel Hitze. In letzter Zeit habe ich mit den besonnenen Denkern des Nordens verkehrt. Das veranlaßte mich, über mein Leben nachzusinnen. Ich gehe auf das mittlere Alter zu – in zwei Jahren werde ich dreißig. Ich habe genug vom Spielen. Nun sagt mir, Mademoiselle Pasquier, wollt Ihr mich nehmen, wie ich bin, oder muß ich Euch für immer verlassen?«
Meine gesunde Hand lag geballt auf meinem Schoß und umklammerte sein zu einer durchnäßten Kugel geknülltes Schnupftuch. Ich hörte mein Herz klopfen während des langen Schweigens, als ich ihn dort am Fenster betrachtete. Er sah abgehärmt aus, der Spott und die Tücke waren aus seinen grauen Augen gewichen. Um sie herum zeigten sich die ersten feinen Fältchen des nahenden Alters, vor dem ihm bangte. Plötzlich wünschte ich ihn mir zurück, wie er einst war, der unverschämte, ungeduldige Zyniker, der darauf brannte, die Welt zu verändern. Und ich wollte wieder das Mädchen sein, das nie etwas Schlimmeres gesehen hatte als die ungehörigen Werke, die es heimlich las, und dessen einzige Pläne waren, an jedem Abend mit seinem Vater Herodotos zu lesen. Jetzt hatten wir beide zuviel gesehen und zuviel getan, und ein jeder von uns wußte dies vom anderen, ohne daß darüber ein Wort gewechselt wurde.
»Ja, Florent, ich will Euch nehmen, wie Ihr seid, vorausgesetzt, Ihr könnt mir dasselbe gewähren.«
»Das ist schon immer so gewesen, Geneviève.«
»Ihr – Ihr könnt meine Hand nehmen«, sagte ich mit matter Stimme. Er setzte sich wieder neben mich.
»Sie ist ganz naß«, sagte er zärtlich. »Wir könnten uns statt dessen umarmen.«
»Ihr macht Euch Euren Rock voll Puder«, erwiderte ich.
»Dann ist eine nasse Hand vielleicht besser«, sagte er, und damit stand er auf, kniete sich vor mich hin und nahm meine Hand. »Würdet Ihr eine Heirat in Betracht ziehen, Mademoiselle Pasquier? Ich weiß nicht recht, bei wem ich um Euch anhalten soll – bei Eurem Bruder, dem es von Rechts wegen zusteht, Euch zu vermählen, der Euch jedoch für tot hält, oder bei Eurer Gönnerin, die ein gewisses – moralisches Recht zu haben scheint, sofern man von Hexen sagen kann, daß sie über dergleichen verfügen.«
»Wahrscheinlicher ist, Florent, daß sie es als einen Affront auf ihre Einkünfte betrachten und entsprechend handeln wird.«
»Dann werde ich Euch aus Eurem Kontrakt loskaufen müssen, nicht wahr, kleine Hexe?«
»Ich an Eurer Stelle würde das nicht gerade jetzt versuchen. Die Geschäfte gehen schleppend, und Madame ist gereizt. Außerdem habe ich – ich habe Schwierigkeiten mit dem Gedanken an Heirat. So viele Eheleute vergiften einander –« Er lachte, stand auf und strich über die Knie seines Beinkleides.
»Ihr seid wahrlich ungewöhnlich – die meisten Frauen denken nur an Heirat, koste es, was es wolle. Aber das macht einen Teil Eures Reizes aus: Ihr seid vollkommen exzentrisch. Ihr könntet mich niemals langweilen, Athena. Und wenn Ihr es vorerst so haben wollt, wer bin ich, daß ich dazu nein sagen könnte?« Damit zog er den Fußschemel vor meinen Stuhl, setzte sich darauf und nahm meine Hand. »Im Ernst, meine Liebe, bedenket dies: Meine Eltern finden noch immer großen Gefallen aneinander, trotz allem, was sie durchgemacht haben – das ist durchaus möglich, müßt Ihr wissen.«
Ich betrachtete ihn, wie er da saß, eine drollige Verspottung des althergebrachten Heiratsantrages, und ich wußte, er war der einzige Mann, den ich wollte. Ich mußte unwillkürlich lächeln. »Eure Eltern gefallen mir, Florent. Auch Eure Brüder würden mir gefallen, glaube ich. Ich hoffe, sie alle eines Tages kennenzulernen. Aber ich denke, noch bin ich nicht bereit, in die Fremde zu reisen.«
»Was? Glaubt Ihr, ich würde es wagen, Colbert zu trotzen und sie über die Grenze zu schmuggeln?«
»Das habe ich Euch zugetraut. Immerhin hatte ich einen Vater, der Colbert getrotzt hat. Und wie ich Euch kenne, ist es Euch gelungen, ihren letzten Franc sowie den ganzen Haushalt mitsamt Hund und Katze außer Landes zu bringen.«
»Nein, die Katze mußten wir zurücklassen. Sie war nicht protestantisch. Aber der Hund, der für die reformierte Religion in Frankreich
Weitere Kostenlose Bücher