Die Hexe von Paris
Verspätung machte, erklärte ich, daß Madame, statt mich zu schelten, aufgrund meiner Einladung, vor dem König zu erscheinen, eine Feier anberaumt hatte. Und diese habe mich beträchtlich aufgehalten.
»Vor dem König?« staunte Sylvie. »Ei, das habe ich ja gar nicht gewußt! Ihr seid gerissen, meine Güte!«
»Wahrsagerinnen müssen ein paar Geheimnisse haben«, erwiderte ich, als ich meine Rechnungsbücher weglegte und meinen Hut auf das Bett warf.
KAPITEL 29
E nde September setzten die herbstlichen Regengüsse ein, die Gossen flossen über von schmutzigem Wasser, Kälte und Feuchtigkeit drangen in jeden Winkel des Hauses. Ich bekam eine Erkältung, ging in ein dickes Umschlagtuch gehüllt zu meinen Lesungen und fühlte mich genauso alt, wie ich zu sein vorgab. Das einzig Erfreuliche in der trüben Zeit war ein Brief von Florent, mit vielen Siegeln versehen und lädiert von der weiten Reise aus der Fremde, worin er seine baldige Rückkehr ankündigte. Von da an spähte ich aus dem Fenster des Schlafgemachs hinunter auf die Kutschen und Passanten und hielt Ausschau nach seinem dunklen Hut und Umhang, seinem entschlossenen Gang; ich glaubte ihn in Hauseingängen oder in der Menge auszumachen, zu Pferde oder inkognito in einer vorüberfahrenden Kutsche.
Eines Nachmittags, als ein scharfer Wind die Tropfen eines leichten Regens wie eisige Nadeln vor sich hertrieb, erblickte ich draußen eine dick vermummte Gestalt, die vor der Türe aus einer kleinen Droschke stieg. Florent! Gott sei Dank hatte ich heute keine Klienten empfangen. Ich wollte für ihn nicht wie ein Leichnam aussehen. Ich trug ein schlichtes blaues Wollkleid mit spitzenverbrämtem Kragen und ein rosa Satinband im Haar. Ich spürte, wie ich errötete, als ich meine Locken hinter das Band schob und meinen Rock glattstrich. Ich eilte die Treppe hinunter. Er stand mit dem Rücken zu mir vor dem Feuer, seine dunkle Perücke glänzte vom Regen, er war noch in Hut und Umhang.
»Madame«, sagte Mustafa rasch, als wolle er mich hindern zu sprechen, »Hauptmann Landart von den Musketieren ersucht Euch um eine Unterredung.« Währenddessen wandte der Mann sich um. Ein Fremder, dessen goldbetreßter Militärrock unter seinem halb offenen Umhang zu sehen war. Sein Lächeln, als er meine Verwirrung, die Röte auf meinen Wangen gewahrte, war durchtrieben, raubtierhaft. Mit einem Mal erkannte ich ihn. Der Mann der Verkleidungen. Nicht Hauptmann Landart von den Musketieren, sondern Hauptmann Desgrez von der Polizei.
»Oh, ich bitte um Verzeihung, Hauptmann Landart, ich habe heute nachmittag keine Kundschaft erwartet, sonst hätte ich mich angemessener gekleidet, um einen Mann Eures Ranges zu empfangen.«
»Das will ich meinen, obwohl ich sagen muß, Ihr schaut überaus reizend aus, so wie Ihr seid, Madame de Morville.« Er hat alles gesehen. Gott helfe mir. Die Dienstmagd, die alte Dame – er wußte, sie waren ein und dieselbe. Einen Augenblick gedachte ich zu fliehen. Einen kleinen Moment, Monsieur, wollte ich sagen – dann zur Hintertüre hinauslaufen und die Postkutsche nach Calais nehmen. Buckingham würde mir Unterschlupf gewähren. Er hatte es bei Madame gesagt. Dann aber lächelte ich, als sei nichts Beunruhigendes geschehen, und erwiderte: »Ihr schmeichelt mir, Hauptmann, Ihr versteht Euch darauf, die Damen zu bezaubern. Doch sagt, was kann ich für Euch tun?«
»Ich möchte um einen Waffenbalsam ersuchen, Madame, mit wunderbaren Eigenschaften. Mehrere angesehene Wundärzte, mit denen ich sprach, schwören darauf.«
»Es gibt eine Anzahl verschiedener Rezepturen, welche von mir bekannten Personen hergestellt werden. Ich selbst bin in das Geheimnis nicht eingeweiht. Ich könnte Euch zwei Präparate verschaffen, doch in beiden Fällen wäre es ratsam, Ihr würdet Euch unmittelbar an die Quelle wenden: Die Anweisungen zur Behandlung der Wunde variieren je nach der Rezeptur, welche zur Salbung der Waffe angewendet wurde. Erlaubt mir, Euch die Anschrift von Monsieur Jordain, dem Apotheker, zu geben.« Monsieur Jordain, der mit so vielen von La Trianons fragwürdigen Erzeugnissen handelte, würde die Bestellung in ihrem kleinen Laboratorium aufgeben, wenn er die Kröten lieferte.
»Ihr selbst verkauft demnach keine Präparate, Madame de Morville?«
»Mein lieber Hauptmann, wenn mein verstorbener Gemahl, der Marquis de Morville seligen Angedenkens, wüßte, daß ich seinen Namen mit Geschäften besudelt habe, er würde in seinem Grabe keine Ruhe
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