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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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betteln, also muß er auch sie loswerden, und so weiter. Dies und die Einkerkerung von Prostituierten hält ihn zu sehr beschäftigt, um sich mit uns zu befassen. Aber dennoch, warum einem Mädchen den Kopf kahlscheren und sie für genau dasselbe einsperren, was die großen Damen tun, die dafür auch noch belohnt werden? Die Hure des Königs lebt in Saus und Braus, und alle ihre Kinder haben Titel. Was gibt ihm das Recht, Hüter der Moral der Nation zu sein?«
    So hatte ich das noch nie betrachtet.
    Jedermann wußte, daß der König als Vater Frankreichs der Hüter der Familienmoral war. Auf Bitten eines gekränkten Ehemannes oder enttäuschter Eltern versandte er wohl ein lettre de cachet, und die abtrünnige Gattin oder der liederliche Sohn kam ohne Prozeß lebenslänglich hinter Gitter. Das gehörte zur Bewahrung des moralischen Niveaus des Königreiches. Natürlich waren, wie in jeder zivilisierten Gesellschaft, sofern man über die richtigen Verbindungen verfügte, Ausnahmen möglich.
    »Seien wir dankbar für seine Familie«, kicherte La Trianon. »Insbesondere Monsieur.« Monsieur, Duc d'Orléans, des Königs jüngerer Bruder. Dank Großmutters Förderung meiner Leseneigung wußte ich alles über ihn, direkt aus den Skandalblättern aus Holland. Seine beiden männlichen Geliebten hatten seine erste Gemahlin vergiftet, die englische Prinzessin. Daraufhin hatte der König ihm eine deutsche Gemahlin verschafft, der man nachsagte, so grauenhaft häßlich zu sein, daß sie bei dem Chevalier de Lorraine und dem Marquis d'Effiat keine Eifersucht erregte. Es hieß, er trage Rouge und Schönheitspflästerchen und besuche in Frauenkleidern Bälle. Das konnte freilich alles erfunden sein, da die Holländer Ludwig XIV. nicht sehr gewogen waren. Ich war den betreffenden Personen nie begegnet, und es widerstrebt mir, in solchen Fällen zu urteilen. Dennoch, Monsieurs Neigungen hatten Gleichgesinnte beschützt. Der König wagte es nicht, durch Ausführung der vom Gesetz befohlenen Exekutionen Fragen aufkommen zu lassen. Der Hinweis genügte. Ich betrachtete meine Betreuerinnen mit anderen Augen. Es war wirklich enttäuschend, daß sie so gewöhnlich waren. Man hätte erwarten können, daß sie grün seien oder Barte hätten oder sich merkwürdig kleideten.
    »Ihr seid – hm –?«
    »Brave Mädchen wissen nichts von solchen Dingen. Ich dachte, du seist besser erzogen«, sagte La Trianon naserümpfend.
    »Ich wurde nicht zu einem braven Mädchen erzogen. Ihr denkt an meine Schwester, die hübsch ist und blond.«
    »Ist es nicht immer dieselbe Geschichte?« sagte La Dodée. »Du machst wahrlich ein komisches Gesicht. Möchtest du uns vielleicht etwas fragen?«
    »Tja, hm – ah – ist es wahr, daß – nun ja, ihr wißt schon, daß ihr Kinder bekommen könnt ohne, na ja, ohne Mann?« Die beiden Frauen brachen in schallendes Gelächter aus.
    »Das hat nur die Heilige Jungfrau Maria zustande gebracht«, sagte La Dodée.
    »Ja, du mußt wissen, das sind lauter Lügen. Sie wollen die Leute abschrecken, deswegen nennen sie uns Hermaphroditen. Dabei sind wir doch nur Frauen, die ohne Männer auskommen können, und das ärgert sie! Nimm noch ein gekochtes Ei. Du siehst ziemlich bleich aus, obwohl diese Leute am anderen Ende der Stadt dich geschminkt haben.«
    »Das kommt von dem Korsett, in das sie mich eingenäht haben. Mein Rücken brennt wie Feuer. Und ich bin so steif, ich fürchte, ich werde stürzen und mir die Knochen brechen.«
    »Er sieht schon viel gerader aus. Entschieden eine Verbesserung«, sagte La Trianon.
    »Ja, wir hätten es längst gesagt, aber wir wollten nicht, daß es dir zu Kopfe steigt«, setzte La Dodée hinzu.
    »Sie haben gesagt, ich muß darin schlafen, und ich habe es geschworen. Ich würde alles tun, um hübsch zu sein wie andere Mädchen, aber jetzt tut es so weh, ich wünschte, ihr würdet mich herausschneiden.« Es war ein harter Tag gewesen, und mir rannen die Tränen übers Gesicht.
    »Aber nicht doch. Gib dir Mühe. Wir machen dir etwas, das dir gleich Schlaf bringen wird. Versprich nur, daß du es nicht tagsüber nimmst. Sie würde es uns nie verzeihen, wenn es dich deiner Gabe zum Wasserlesen beraubte.« La Dodée schien stets mitfühlend.
    »Sage mir – du hast eine Frage gestellt, nun habe ich eine. Du befleißigst dich einer so wohlgesetzten Sprache, du mußt aus guter Familie sein. Warum bist du alleine hier, was läßt dich wünschen, Leid und Schande zu ertragen, um in eine Welt

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