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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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worden waren. Wir näherten uns dem Gerichtsbereich der Gefängnisfestung auf dem Weg über die Rue Pierre-à-Poisson, wo die langen vor der Festungsmauer aufgestellten Tische der Fischhändler mit Tausenden von Gründlingen, Karpfen und anderen Flußfischen bedeckt waren. Der Gestank war unerträglich. Verrottende Fischabfälle lagen zuhauf unter den Tischen, und Ratten tummelten sich unbekümmert in den ekligen Abfallbergen.
    »Sage mir, Mademoiselle, als du es kauftest, hatte es da Anzeichen, daß es naß geworden war?«
    »Naß? O nein. Knochentrocken. Seht Ihr? Die Bänder sind kein bißchen ausgelaufen, und die Wolle hat keine Flecken.« Ich hielt ihm einen Ärmel hin. Mein Gott, dachte ich. Man hat der Polizei meine Beschreibung gegeben, als ich verschwand. Familie Pasquier – bedeutend genug, daß sich die Polizei eines Skandals erinnert. Aber in meinem Innern frohlockte eine Stimme: Er erkennt mich nicht, ich sehe anders aus, er nannte mich hübsch.
    »Hmm. Interessant…«, sagte er, als die kleine Kutsche in dem großen Innenhof des Châtelet zum Stehen kam.
    »Stimmt etwas nicht mit meinem Kleid?« fragte ich mit erschrocken klingender Stimme.
    »Da stimmt einiges nicht. Ich glaube, ich bin einem neuen Fall von faulem Spiel auf der Spur.«
    »Hat jemand beim Kartenspielen betrogen?« fragte ich. Ich hörte mich so dumm an, wie er mich einschätzte.
    »Stimmt genau. Au revoir, kleine lingère. Komm gut nach Hause. Und sage deiner Herrin, ich stehe für die Zeit gerade, die du versäumt hast.«

KAPITEL 8
    M ein Gott, Ihr habt die Ruhe weg«, sagte mein Kutscher, als er mir aus der Droschke half und mich zur Türe von La Trianons kleinem Laboratorium geleitete. »Wie Ihr ihn kurzerhand von diesem Haus abgelenkt habt! Habt Euch sogar genau angehört wie'n kleines Mädchen aus'm Wäschegeschäft in der Rue Aubrey-le-Boucher. Jetzt weiß ich, was sie an Euch findet. Nur weiter so, und Ihr seid eines Tages selbst Königin.«
    Die Neuigkeiten behagten meinen Betreuerinnen nicht. Sie rangen die Hände. »Man muß es ihr erzählen, sie muß unverzüglich fort von hier«, lamentierte La Dodée. »Sie hätte uns geradewegs zu – großer Gott, zu Desgrez persönlich bringen können!«
    »Psst. Nicht mehr als nötig«, flüsterte La Trianon grimmig mit einem Blick auf mich.
    »Beruhigt euch, ich sage euch, sie hat ihn abgelenkt. Er hielt sie für das Lehrmädchen einer lingerie, das schwöre ich beim heiligen Kreuz. Sie ist gerissen, die da.«
    »Wir werden seinem Wort wohl glauben müssen«, sagte La Trianon an diesem Abend bedrückt bei einem kalten Mahl.
    »In wenigen Tagen werden wir es wissen. La Reynie schiebt nie etwas auf die lange Bank. Sie können vielleicht schon morgen hier sein. Wißt ihr noch, wie er mit den Mysterienspielern kurzen Prozeß gemacht hat? In der Minute, als er den Befehl erhielt, fiel er über sie her wie ein Wolf. Brandzeichen, Verbannung, Exekutionen, die Galeeren. Ausgelöscht, nachdem sie jahrhundertelang am selben Platz gewesen waren. Wer hätte das gedacht?«
    Der Name auf dem Schnipsel in Großmutters toter Hand, den ich in mein Notizbuch geschrieben hatte: La Reynie. »Wer ist La Reynie?« fragte ich.
    La Trianon sah mich lange an, ehe sie erwiderte: »Gabriel Nicholas de la Reynie, der königliche Verweser von Paris, dem es obliegt, die Straßen von Gesindel zu säubern, auch bekannt als Präfekt der Pariser Polizei. Er erhält seine Befehle direkt von Louvois, dem Staatsminister, der allein dem König verantwortlich ist. Er allein in dieser Stadt ist unbestechlich. Wir können nur froh sein, daß er mehr Aufgaben hat, als er wahrnehmen kann.«
    Meine Gedanken rasten in mehrere Richtungen auf einmal. Großmutter hatte den Brief geschrieben. Sie hatte an den Präfekt der Pariser Polizei geschrieben, und der Brief war ihr aus der Hand gerissen und vernichtet worden. Und mehr noch, meine Betreuerinnen mußten sich mit weitaus mehr befassen als mit dem Brauen von Liebestränken und mit Wahrsagerei. Ich mußte wissen, was es war, da die Gefahren offensichtlich auch mich bedrohten.
    » – kein Mensch könnte in dieser Stadt auf ehrliche Weise seinen Unterhalt verdienen«, beschwerte sich La Dodée. »Du brauchst Geschick, um zu betteln. Die Bettler haben ihre eigene Vereinigung, ganz so wie eine Gilde. Natürlich, wie er gerade den ersten Trupp zusammengetrieben und auf die Galeeren geschickt hat, da bricht auf dem Lande eine neue Hungersnot aus, und alle strömen in die Stadt, um zu

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