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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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gehörige Tracht Prügel zu verabreichen.
    »Narr, das werdet Ihr büßen. Ich bin der englische Gesandte«, keuchte der zweite Mann.
    »Dann nehmt dies, verräterischer Engländer«, hörten wir den ersten Mann schreien.
    »O mein Gott, die Polizei«, sagte mein Kutscher. »Und wir sind hier eingekeilt. Zieht den Vorhang zu.« Der Kutscher verkroch sich in seinen Rock und zog seinen breitkrempigen Hut tief ins Gesicht. Hinter dem Vorhang erspähte ich wahrhaftig die bauschigen blauen Uniformen und mit weißen Federn verzierten Hüte der Pariser Gendarmen. Ihr Oberst, an seinen roten Strümpfen zu erkennen, lief hinter ihnen drein. Als sie sich einen Weg zu den Trümmern bahnten, begab sich ein sehniger Mann von mittlerer Größe mit scharfem Profil, der das dezente Habit eines gutsituierten Bourgeois trug, mit gebieterischem Gehabe zu den Kaleschen. Er lüftete höflich den Hut und verbeugte sich tief vor den zankenden Herren, deren einer in seinem fremdländisch geschnittenen Wams und dem teuer, jedoch provinziell wirkenden Überrock sehr mitgenommen aussah. Wie bei solchen Zankereien üblich, wandten sich beide dem Neuankömmling zu und bedrohten ihn. Der sehnige Herr trat hastig den Rückzug an, indem er sich rückwärts gehend verbeugte, und überließ es seinen Gendarmen, sich die Lakaien vorzunehmen.
    »Um die muß einem nicht bange sein!« brummte mein Kutscher. »Die bei hohen Herrschaften arbeiten, kommen immer davon. Ansonsten würden sie die ganze Bagage als Bedrohung der öffentlichen Ordnung aufhängen.«
    »Kutscher, Kutscher, bist du frei?« erkundigte sich ein Mann aus der Menge. Es war der Polizeioberst. Ich ließ den Vorhang sinken.
    »Ich habe Kundschaft.«
    »Soll zu Fuß nach Hause gehen. Desgrez von der Polizei bedarf deiner Dienste.«
    »Es ist eine Dame«, sagte der Kutscher.
    »Oho, eine Dame, Latour?« Der Polizist hatte meinen Kutscher erkannt. Ich hatte nicht einmal seinen Namen gewußt. »Seit wann kutschierst du ›Damen‹?«
    »Alle möglichen Leute benötigen meine Dienste. Ich weise keine Kundschaft ab. Ich bin ein armer, ehrlich arbeitender Mann –«
    »Schon gut, schon gut. Deine ›Dame‹ hat gewiß nichts gegen einen Umweg am Châtelet vorbei einzuwenden, oder?«
    »Nicht, wenn Ihr bezahlt.« Die klapprige kleine Kutsche schwankte, als er einstieg.
    »Ah, ja, eine Dame, wahrhaftig; eine recht hübsche kleine Dame noch dazu. Nicht von deinem üblichen Schlag, eh, Latour, nach ihrem Erröten zu urteilen. Mademoiselle, gestattet, daß ich mich vorstelle, Hauptmann Desgrez von der Pariser Polizei. Ich hoffe, es wird kein allzu großer Umweg für Euch. Wohin führt Euer Weg?«
    Ich hatte mich von meiner Verwirrung erholt und wußte, daß ich dem unverfänglichen Klang der Frage nicht trauen durfte. Ich lieferte ihm die zuvor abgesprochene Geschichte im Jargon der Pariser Ladenmädchen. »Ich bin auf dem Rückweg zu meiner Dienstherrin, Madame Callet. Die kennt Ihr doch, oder? Feines Leinen für feine Leute? Ich hab' gerade eine Lieferung zum Palais Tubeuf gebracht.« Als die Droschke sich mit einem Ruck in Bewegung setzte, zog er ein Notizbuch hervor und begann zu schreiben. Ich starrte ihn an, als sei ich des Schreibens unkundig.
    »Ihr schreibt doch nicht über mich, wie? Sagt meiner Herrin, ich bin ein braves Mädchen und hab' keine Zeit verschwendet.«
    »Nein, mein Kind, ich schreibe nicht über dich. Ich mache mir Notizen für einen Bericht an den Vorgesetzten. Jeder Vorfall mit einem ausländischen Gesandten betrifft den König; er wird einen vollständigen Bericht verlangen.« Ich ließ ihn in Ruhe zu Ende schreiben.
    »Das ist ein recht hübsches Kleid für das Lehrmädchen einer lingère«, bemerkte er gleichmütig.
    »Ja, ist es nicht fein? Ich habe es an einem Stand für gebrauchte Kleider in den Hallen erstanden.« Ich war nicht dumm. Ich wußte, wo die Dienstboten und die Armen von Paris ihre getragenen und nicht zusammenpassenden Sachen bekamen.
    »Weißt du noch, bei welchem Trödler?« Die ruhige Stimme klang unheilvoll.
    »Ja, bei dem an der Säule, mit dem Zeichen des Affen mit dem Spiegel.« Er sah mir lange ins Gesicht. Ich riß die Augen weit auf und erwiderte seinen Blick.
    »Könnte stimmen«, hörte ich ihn murmeln. »Scheint nicht besonders gut zu sitzen. Dennoch, leichtes Trauergewand, grau mit schwarzen und grauen Seidenbändern –« Er betrachtete das Kleid sorgfältig, den langen geflickten Riß bis zur Taille, wo die Bänder und der Besatz versetzt

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