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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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zu sein. Ich blickte wieder auf das Glas hinunter. Etwas ganz Merkwürdiges war geschehen. Das kleine Bild hatte sich ohne mein Geheiß verändert. Seltsam, dachte ich. So sollte es sich nicht vollziehen. Ich betrachtete das Bild genauer und fand es ungemein amüsant. Als ich aufblickte, sah ich mich von der Gesellschaft umdrängt.
    »Seht Euch vor, Monsieur Visconti«, sagte ich und bewegte in gespielter Warnung meinen Finger vor seinem erschrockenen Gesicht. »Sie wird ein Stelldichein in den Tuilerien verabreden und Euch ihre Zofe in ihren Kleidern schicken.« Der junge Mann errötete heftig beim Gelächter der Gesellschaft.
    »Sehr gut, Primi«, lachte Monsieur le Duc de Brissac. »Ihr müßt zugeben, sie hat ins Schwarze getroffen.« Als ich aber seinen Gesichtsausdruck sah, dachte ich, daß ich keinen Feind bei Hofe gebrauchen könne.
    »Monsieur Visconti, es ist nur billig und recht, Euch zu bitten, als Gegenleistung mir wahrzusagen und Euer Können zu beweisen.«
    »Wohlan, zunächst bestimme ich anhand der Wissenschaft der Graphologie Euren Charakter, dann sage ich Euch wahr anhand der Kunst der Physiognomie, in welcher ich Meister bin.«
    »Oh, das ist wahr«, murmelte eine Dame. »Als ich bei der Comtesse de Soisson war, sagte er dem Chevalier de Rohan, ihm stehe das Schafott im Gesicht geschrieben. Madame de Lionne, die in ihn verliebt war, widersprach, er habe das galanteste Antlitz der Welt, aber Visconti hatte recht.«
    Auf ein Stück Papier, das man mir für eine Handschriftenprobe gab, schrieb ich: »Die Vernunft ist die Königin aller Geisteskünste.«
    Visconti sah amüsiert drein. »Madame la Marquise besitzt Schlagfertigkeit und hat ihren Geist mit eingehender Lektüre der Philosophie geschärft –«
    »Wahr, nur zu wahr«, seufzte ich. »Wenn die Menschen nur begreifen würden, welchen Verdruß es bereitet, hundertfünfzig Jahre zu leben, würden sie sich die Mühe nicht machen. Ich hatte ganze Jahrzehnte nichts zu lesen.«
    »Für eine fromme alte Dame, die so lange Kostgängerin im Kloster war, geht sie äußerst selten zur Messe.« Jetzt war es an mir, verärgert zu sein.
    »Fahrt fort«, sagte ich. Er betrachtete mein Gesicht aus verschiedenen Winkeln.
    »Die Stirn«, sagte er weise nickend, »ist breit und kündet von Intelligenz. Die Nase zeigt Entschlossenheit und Stolz. Es ist die Nase von Eroberern, von Caesaren – in diesem Fall würde ich sagen, von altem Geschlecht, der noblesse de l'épée. Das Kinn allerdings ist zu schmal – eine verletzliche Stelle. Sentimentalität, meine liebe Marquise, wird Euer Untergang sein. Das Antlitz als Ganzes – herzförmig. Die Marquise war für die Liebe geschaffen, aber der Stolz hält sie zurück. Ich vermute, Ihr verkauft die Salbe, die Eure Schönheit über das Grab hinaus bewahrt hat?«
    »Nicht an Euch, Monsieur Visconti. Ihr braucht Eurer jugendlichen Kühnheit nichts hinzuzufügen«, sagte ich in meiner schönsten Manier einer alten Dame.
    »Weiteres«, erklärte er, »werde ich Euch im Vertrauen sagen, da es mir nicht obliegt, ehrwürdige Damen in Verlegenheit zu bringen. Aber ich will Euch eine Warnung erteilen, Madame la Marquise: Hütet Euch vor der Gesellschaft, in der Ihr verkehrt.«
    »Ah«, seufzten die Zuschauer tief beeindruckt.
    »Und gebt acht, wenn Ihr Speis und Trank von Fremden annehmt.« Nun ja, das ist ziemlich allgemein, dachte ich. Ein Triumph für Visconti. Jetzt wird er mir nicht zürnen. Dann stand er auf, beugte sich über das Tischchen und flüsterte mir ins Ohr: »Kleines Biest, ich habe nicht das Herz, dich zu verraten. Ich glaube, ich bin schon halb in dich verliebt. Dabei bevorzuge ich in der Regel große, goldhaarige Frauen. Aber du – du bist ein kleines Mädchen, kühn wie je ein Kavalier, der einen Thron einzunehmen suchte.«
    Ich fühlte, wie die Röte sich unter meinem Puder ausbreitete, und hörte das Gelächter der Anwesenden, die dachten, er habe mir einen unsittlichen Antrag gemacht.
    »Die Welt von heute ist verrucht, eine Welt der Sünde«, rief ich aus und drohte Visconti mit meinem langen Spazierstock.
    »Warum sind alte Leute nur so mißlaunig?« fragte er mit einem müden Lächeln. »Was nützt ein alchimistisches Mittel für die Haut, wenn es keines gegen schlechte Laune gibt?«
    Ich sagte an diesem Abend etliche Male wahr. Der Mutter eines Mädchens, das kurz vor der Verlobung mit dem Mann, den die Familie ausgesucht hatte, von ihrem Geliebten geschwängert worden war, empfahl ich eine

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