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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Jugend. Ich werde ihn übertreffen. Lauter Toren, diese abergläubischen Leute. Selbst der Italiener.
    Die Gesellschaft rückte eng zusammen, als ein hübsches Mädchen von etwa zwölf Jahren herbeigebracht und vor einen Spiegel gesetzt wurde. Doch nach einer Anzahl Beschwörungen und mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, im Spiegel das Wort zu lesen, das einige der hoch wohlgeborenen Zuschauer im Sinn hatten, brach das Mädchen in Tränen aus.
    »Ihr hättet wissen müssen, daß der Versuch scheitern wird«, sagte der Italiener, »da nur Jungfrauen in Spiegeln lesen können, und das Mädchen ist in Eurem Hause verderbt worden.« Er sah Monsieur le Duc geradewegs ins Gesicht. Der blinzelte nicht einmal.
    »Aber bedenkt das Phänomen der Re-Virginisation, die sich im hohen Alter vollzieht«, warf Rabel mit gelehrter Stimme ein.
    »Re-Virginisation?« Der Italiener lachte. »Das ist ein Geheimnis, das die Hälfte der Bräute in Paris gerne kennen würde.« Hochmütiger italienischer Wahrsager, dachte ich. Euch werde ich's zeigen.
    »Laßt mich Euch die Marquise de Morville vorstellen, von dem gelehrten Doktor Rabel in Armut lebend als Kostgängerin im Ursulinenkloster aufgefunden. Über ein Jahrhundert alt, das Opfer eines grauenhaften alchimistischen Fehlschlags.« Duc de Nevers beugte sich vertraulich zu dem Italiener vor. »Sagt mir, was Ihr denkt.«
    »Madame la Marquise, Euer Diener«, sagte der Italiener mit einer übertriebenen Verbeugung.
    »Es ist mir ein Vergnügen, Monsieur Visconti, die Bekanntschaft eines so hervorragenden Gelehrten zu machen«, sagte ich, seinen Gruß auf die altmodische Weise entgegennehmend, in der meine Großmutter ihre alten Verehrer zu empfangen pflegte.
    »Ihr habt die Stimme einer jungen Frau«, sagte er, »wenn Ihr den Schleier lüften wolltet –« Mein Augenblick war gekommen. Langsam und dramatisch hob ich den Schleier und wappnete mich gegen den ironischen Blick des Italieners. Die Gesellschaft hielt vor Staunen den Atem an. Selbst Viscontis Ironie schlug in Bewunderung um. Ich hatte weißen Puder und einen Tupfer unkleidsames blaulila Lippenrot aufgetragen. Es war ein ausgezeichneter Effekt. Ich sah aus, als sei ich soeben dem Grabe entstiegen. Und dank der Anstrengungen der sadistischen Madame Lemaire mit ihrer Pinzette und La Voisins Friseuse mit ihrer Brennschere hatte mein lange verachtetes Gesicht einen düsteren, dramatischen Zug angenommen, der nicht ohne Reiz war.
    »Euer Antlitz ist – jung – und schön«, sagte der Italiener leise, »wenngleich Euer Gang und Eure Redeweise hochbetagt wirken.« Ich konnte nicht umhin, jemanden gern zu haben, der mich schön fand. Unsere Blicke trafen sich. »Aber die Augen – die Augen sind uralt«, stellte er fest.
    »Nun?« unterbrach Duc de Nevers.
    »Sie ist eine Fälschung«, sagte Visconti. Erstaunte Rufe wurden laut. Ich verhärtete mein Herz. Ihr steht auf meiner Liste, Italiener. Das werde ich Euch heimzahlen. »Sie ist nicht so alt, wie sie behauptet. Was immer das für ein Fehlschlag war, der ihr Gesicht erhalten hat, sie ist nicht mehr als neunzig, allerhöchstens hundert Jahre alt.« Gut. Erste Runde unentschieden. Nun zur zweiten.
    »Ihre Lesungen sind ganz außergewöhnlich«, verkündete Rabel. Ich verlangte fünfmal geläutertes Wasser. Destilliertes Wasser, in einem Haushalt von Adepten unschwer zu erlangen, war im voraus präpariert worden. Duc de Nevers läutete, und ein Diener brachte einen großen Krug. Ich setzte mich an ein Tischchen im Salon und breitete meine Utensilien aus, wobei ich jeden dramatischen Moment auf das trefflichste ausschmückte. Ich spürte Viscontis Blick auf meinem Nacken.
    »Und nun, Monsieur Visconti, werde ich Euch wahrsagen.« Ich sang, ich rührte, ich warf finstere, bedeutsame Blicke in die versammelte Gesellschaft. Das kleine Bild stieg fast unverzüglich auf: das dunkle Innere einer Kirche. Eine maskierte Frau trat, hastig hinter sich blickend, von der Straße ein. Sie nahm ihre Maske ab und blieb kurz stehen, um ihre Finger ins Weihwasser zu tauchen. Sie konnte den jungen Italiener, der sich im Schatten versteckt hielt, nicht sehen; sein Gesicht war die Verkörperung des Verlangens.
    Zum Glück erkannte ich die Kirche. »Ihr liebt eine schöne Frau, die Ihr in der Kapelle im Südschiff von St. Eustache beten saht. Ihr wollt ihr dort auflauern, in der Hoffnung, einen Blick auf sie zu erhaschen. Sie ist vermählt, und Ihr verfolgt sie ungebührlich.« Nun war es an ihm, betroffen

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