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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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wie andere Frauen – oh, nimm nur immer an, Geneviève, du Närrin. André Lamotte wird niemals der Deine sein. Ich nahm noch einen Schluck von dem Labsal, und das Bild verschwand.
    »Madame.« Brigitte stand in der Türe, um mir beim Auskleiden zu helfen. Die Reihen winziger Knöpfchen, die Nadeln im Mieder, das schwere Unterkleid mit dem Reifrock waren nicht allein zu bewältigen. Endlich waren wir bei dem Stahlkorsett: die Vorderseite flache Filigranarbeit, in der Mitte gehakt, im Rücken Stangen und Schnüre bis zum Nacken.
    »Brigitte, schnüre es auf. Ich will es ausziehen.«
    »Aber Madame, Ihr habt es jede Woche enger geschnürt.«
    »Herunter damit, sage ich, oder ich sterbe. Ich muß wieder ich selbst sein, koste es, was es wolle.« Es zeigte sich, daß das dünne Hemd darunter Rostflecken hatte, wo mein Schweiß den gnadenlosen Stahl zerfressen hatte.
    »O mein Gott, hilf mir!« schrie ich, auf dem Boden zusammenbrechend. Die ständige Stahlstütze hatte bewirkt, daß die Muskeln meines Rumpfes alle Kraft verloren hatten. Ich konnte nicht aufrecht stehen oder sitzen. Ich hatte das Rückgrat eines Wurmes. Brigitte, die Augen vor Schreck geweitet, rief nach ihrer Mutter, und zusammen gelang es den Frauen, mich ins Bett zu schleppen. Dort lag ich, starrte im Dunkeln an die Decke, indes das Fieber in feurigen Wellen durch meinen Körper jagte und irre Bilder von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie Schreckgespenster in der Luft schwirrten.

    »Ich habe Schnecken mit mehr Rückgrat gesehen.« Ich hatte einen seltsamen Traum. La Voisin, Tausende Fuß hoch, ragte in einem staubigen Reiseumhang und einem breiten grauen Federhut vor meinem Bett auf. »Kaum kehre ich mit der Postkutsche aus Lyon zurück, da muß ich feststellen, daß der Teufel los ist. La Filiastre hat Geld zurückbehalten. Guibourg erhöht seine Gebühr. Le Sage versucht Madame de Poulaillons Geschäft an sich zu reißen. Wenigstens hat La Pasquier noch ihre fünf Sinne beisammen, sagte ich zu mir, um dann zu entdecken, daß du zusammengekugelt im Bett liegst und aus unerwiderter Liebe am Fieber stirbst. Wundarzt, wie oft müßt Ihr sie noch zur Ader lassen, um das Fieber zu senken?«
    »Einmal noch dürfte genügen«, konnte ich von weit her die Antwort hören.
    »Gut. Nehmt es diesmal aus der Ferse. Ich wünsche nicht, daß ihre Handgelenke gezeichnet sind.« Ich fühlte, wie die Bettdecke gehoben wurde, und hörte andere Leute im Zimmer hantieren. »Und nun, Mademoiselle, der Name des Mannes, der mich meines Kapitals beraubt?«
    Es war ein seltsamer Traum. Ich war nicht in meinem Bett in Madame Baillys Haus. »Wo bin ich?« meinte ich zu antworten.
    »Bringe mich ja nicht in Rage mit der Erinnerung an die Mühen, die ich hatte, dich hierherzuschaffen, ohne daß die hinterhältige Witwe merkte, wohin du gebracht wurdest. Der Name, der Name, Mademoiselle. Ich weiß, er heißt André. André, und weiter? Heraus mit der Sprache! Lamotte? Lamotte, der Stückeschreiber? Oh, wie töricht! Mit dem wirst du kein Vermögen ansammeln. Er ist ein Niemand! Höre, du dummes, krankes Kaninchen, nimm meinen Rat. Brissac ist reif zum Pflücken. Er streitet mit Nevers; er hat einen Titel; er wird deine Interessen fördern. Und er ist gierig. Wenn er sieht, was du verdienst, wird er dir im Nu verfallen. Er kann es dir ebensogut besorgen wie Lamotte, jederzeit. Und er ist ein Alchimist, er kann uns eindecken mit – ha! Du hast dich in den ehrgeizigsten Gigolo von Paris vergafft. Verliebe dich in Brissac, sage ich. Das wird uns etwas einbringen!«
    Als das Blut in die Schale des Wundarztes floß, fühlte ich Mattheit in mir, Mattheit und Gesundung. Ein Stück blauer Himmel schien durch ein winziges Fenster. Eine Dachschräge reichte neben dem Bett fast bis auf den Fußboden. Ich befand mich im Mansardenstübchen in La Voisins Haus.
    »Und ich sage dir jetzt, du wirst morgen aufstehen, du wirst das Korsett wieder zuschnüren, und du wirst deine Verabredung im Palais Royal einhalten. Denke daran: Wenn du dein Glück machst, kannst du dir Lamotte für einen Apfel und ein Ei kaufen. Wenn du versagst, wird dein Oheim auf dein Grab urinieren. Du kannst nirgends hingehen, nur aufwärts.«
    »Ich hasse es, ich kann es nicht mehr tragen«, sagte ich flüsternd zu der aufragenden Traumgestalt.
    »Du kannst nicht? Das Wort gibt es nicht. Aber von nun darfst du es nachts ablegen. Du brauchst beträchtlich mehr Rückgrat, als du augenblicklich hast. Und du siehst gerader

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