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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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größten Gewinn aus der Veranstaltung davontrug. Die gewitzte alte Dame machte deutlich, daß sie keine Rivalin der Horoskopstellerinnen war, daß ihre Stärke vielmehr in den vielfältigen Methoden der Wahrsagerei liege. Die Unterhaltung wurde so interessant, daß sogar Comtesse de Gramont ihre Liebäugelei mit Père Prégnani einstellte, und am Ende des Abends hatte die Marquise die allerbegehrteste Einladung erhalten: Marquise de Morville, die vornehmste divineresse von Paris, würde sich nach Versailles begeben.

KAPITEL 11
    D ein erster Besuch bei Hofe«, sagte meine Gönnerin zufrieden. Die Katzen rieben sich an ihrem Rock und strichen um ihren Lehnstuhl. Mir hatte sie den Schemel angeboten. Es geht aufwärts, dachte ich. Eines Tages wird auch mir ein Lehnstuhl zustehen. »Du wirst hoch aufsteigen. Möchtest du noch ein Marzipan?« Ich nahm ein großes Stück. Sie lächelte. In diesem Moment hätte ich es gerne gegen ein kleineres getauscht, aber es war zu spät. »Ich kann dich natürlich beraten. Ich bin in St. Germain, Fontainebleau und Versailles am Hofe gewesen. Aber die Königin – du hast dich prächtig gemacht, und so schnell. Das freut mich.« Sobald ich das Marzipan verzehrt hatte, trachtete ich nach dem nächsten Stück. Ich werde nicht auf den Teller sehen, dachte ich.
    Sie stand plötzlich auf und schürte das Feuer, das beinahe erloschen war. Dann nahm sie ein Hauptbuch aus dem verschlossenen Schrank, und als sie es zurückstellte, drehte sie sich zu mir um und sah mich an. »Amüsiere dich inmitten der Schar der Erlauchten, meine Liebe. Erfahre ihre Geheimnisse, gewinne ihr Vertrauen. Denke daran, ich bin immer da, dir beizustehen – und ihnen, mit meinen kleinen ›vertraulichen Diensten‹.« Sie nahm wieder Platz. »Nun, wann wirst du Versailles besuchen? Ich habe ein Päckchen, das dort abgeliefert werden soll. Und eines mußt du dir merken – nun ja, ich verstehe mich beinahe als deine Mutter und will nur dein Bestes –, zeige niemals Schwäche. Sie sind wie vergoldete Wölfe. Wenn sie das geringste Zaudern wittern, werden sie über dich herfallen und dich im Handumdrehen auffressen. Kühnheit! Beherztheit! Sie wollen nur geblendet werden. Verlasse dich auf deinen Verstand. Vertraue keinen Freundschaften: Eine Schlangenbrut ist edelmütiger als der Hof des Sonnenkönigs.« Wenn ich bedachte, aus welcher Quelle dieser Ratschlag kam, war ich beeindruckt.
    »Du wirst Hofgarderobe benötigen«, erklärte sie, »doch vorerst wird das, was du hast, genügen, bis du mehr Geld verdienst.« Sie lachte. »Möchtest du meine sehen? Die Stickereien sind erlesen. Versteht sich, denn das Kleid hat alleine fünftausend Livres gekostet.«
    Ich fragte mich, weshalb sie an den Hof ging. Freilich, das konnte jeder, wenn er sich nur gut genug kleidete. Die Paläste des Königs standen jedermann offen, Franzose oder Ausländer, wenn er nur vornehm aussah. Ausflügler kamen, um die Gärten zu begaffen oder dem König beim Dinieren in aller Öffentlichkeit zuzusehen, und Saaldiener sorgten dafür, daß ein jeder einen Blick auf das Schauspiel erhaschte. Der König, der sich dem neumodischen Gebrauch von Gabeln nicht unterwarf, aß mit den Fingern, dies aber mit großer Würde, und er behielt während der Mahlzeit den Hut auf. Adelige von hohem Rang durften stehenbleiben und der Mahlzeit bis zum Schluß zusehen. In den Gängen von Versailles drängten sich Bittsteller, die hofften, des Königs Aufmerksamkeit zu erhaschen, wenn er seinen Versammlungsraum oder seine Kapelle verließ. Denn der König konnte jederzeit ein placet, eine Bittschrift, empfangen. Schließlich war er der Vater seines Volkes, und nichts war ihm zu geringfügig, um sich damit zu befassen. Ein Titel, eine Pension, ein Sohn oder eine Ehefrau, die auf Abwege geraten waren und mittels eines lettre de cachet für immer eingesperrt werden sollten, eine Ungerechtigkeit. Alles ließ sich beheben, wenn es ihm nur vorgetragen werden konnte. Andere aber betrieben wirklich Geschäfte: Händler, Wundärzte, Künstler, Lieferanten. Und über alle erhaben waren die Gäste, Gefährten, Spielgesellen und Familienmitglieder, die in die Gemächer derjenigen schwärmten, die das Glück hatten, in der Nähe des Königs zu residieren. Vielleicht könnten die Kleider meiner Gönnerin etwas erzählen. Gast, Ausflüglerin oder Geschäftsfrau? Es war ein Geheimnis.
    Oben in ihrem Schlafgemach öffnete La Voisin den verschlossenen Schrank, in dem unter

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