Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
Speis noch Trank zu Euch. Und wenn Ihr es doch tut – hicks –, ist es gut, ein paar Dinge zu wissen. Tragt Gegengift bei Euch, und wenn Ihr keines habt, trinkt viel – hicks – Milch, wenn die Suppe komisch schmeckt. Ich fand sie – hicks – äußerst wirksam, obgleich sie mir diesen verfluchten Schluckauf beschert. Ich sage Euch das, weil Ihr scheint's mehr Anstand – hicks – habt.«
    In dieser Nacht hatte ich entsetzliche Träume. Meine neue Zofe hatte mich entkleidet und das Korsett beiseite gelegt wie den Panzer einer verspeisten Krabbe. Aber La Dodées Labsal brauchte ich trotzdem. Mit zitternder Hand nahm ich eine doppelte Dosis.
    »Zur Blutbildung«, sagte ich obenhin, und Sylvie schöpfte keinen Verdacht. Ich spürte die wohltuende Schwäche und die trägen, schwebenden Gedanken, die das Labsal hervorrief, indes Sylvie die Kerze ausblies und sich in die niedrige Bettstatt am Fußende meines Bettes legte. Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Das Zimmer verwandelte sich in einen glitzernden Speisesaal. Ich saß mit einer eleganten Gesellschaft an einer langen Tafel mit einem Tischtuch aus weißem Linnen. Silberne Kandelaber standen zwischen schwer beladenen Silberplatten. Die Unterhaltung war geistreich. Auf einer Platte war eine köstliche Pastete angerichtet. Ein Mann schickte sich an, sie mit seinem Messer anzuschneiden, um seiner Tischdame etwas anzubieten. Die Pastete stöhnte mit einer menschlichen Stimme.
    »Oh, wie abstoßend!« entfuhr es der Dame, und als er sein Messer hastig zurückzog, sah ich, daß das grausige Ding blutete.
    »Man sollte derlei Dinge nicht zum Gastmahl laden«, bemerkte ein spitzengeschmückter Herr. Ein Lakai füllte mein Glas randvoll mit dem starken grünen Labsal.
    »Oh, für mich nichts mehr«, sagte ich. »Ich hatte bereits zuviel.« Zuviel. Zuviel. Wen kannte ich an dieser Tafel? Ich sah mich nach allen Seiten um. Die drei Freunde von der Rue des Marmousets saßen zu beiden Seiten neben mir. Lamotte bändergeschmückt, Griffon in rehbraunem Samt und d'Urbec in schwarzer Seide wie in Trauer.
    »Sagt mir«, fragte Griffon, »publiziert die Pastete auch?«
    »Genügt es nicht, daß sie spricht?« antwortete d'Urbec auf seine spitze Art.
    »Monsieur Lamotte, bringt mich fort von diesem Gastmahl. Ich bin müde«, bat ich. Irgendwie schien er derjenige zu sein, der mich hierhergebracht hatte.
    »Oh, Ihr könnt nicht gehen«, rief ein Austern verspeisender Herr. »Ihr müßt für das Souper bezahlen.«
    »Aber ich kann nicht –« Mein verzweifelter Protest wurde von dem entrüsteten Kreischen einer Frau unterbrochen: »Ihr müßt, was erwartet Ihr denn?« Und damit begann die Gesellschaft zu streiten, wer bezahlen würde. Es ging von Minute zu Minute lauter und zänkischer zu.
    »Mademoiselle Pasquier, ich kann jetzt nicht aufbrechen«, bekannte Lamotte mit leiser Stimme. »Ich fülle meine Taschen fürs morgige Frühstück. Das Vorrecht des Poeten.« Er nahm noch mehr Brötchen; ein Dutzend oder mehr verschwanden unter dem Tisch. Dann faltete er eine riesige Suppenterrine in eine winzig kleine Serviette und schob sie unter sein Hemd. D'Urbec aber sah mich mit diesem seltsamen, eindringlichen Blick an, der alles zu sehen schien.
    »Sie stößt Euch ab«, sagte er und warf seine Serviette über die Pastete. »Wenn Ihr allerdings das sechste Kapitel meiner ›Betrachtungen zur Gesundheit des Staatskörpers‹ gelesen hättet, wäret Ihr mitnichten verwundert. Kommt, laßt uns gehen, bevor das Gezänk den Saal in Flammen setzt.« Und als mit den ersten Schlägen die Schüsseln zu Boden krachten und die brennenden Kandelaber über das feine Linnentischtuch rollten, nahm er meinen Arm, und wir flohen unbemerkt in die Nacht.
    Schwitzend und verängstigt lag ich starr und still und wartete auf das Morgengrauen. »Diese entsetzlichen Träume – ich schwöre, ich schwöre, ich werde von dem Labsal ablassen«, flüsterte ich im Dunkeln. Doch noch während ich es sagte, wußte ich, daß ich mich selbst belog. Ich wollte das Zeug. Ich brauchte es, um dem Schmerz Einhalt zu gebieten. O Geneviève, du hast alle anderen so oft belogen, daß es dir nichts mehr ausmacht, dich selbst zu belügen. Hast du nicht einmal soviel Würde? Was würden die Römer sagen, was würde Vater dazu sagen?

    Noch in derselben Woche rumpelte ich hinter einem Gespann aus sechs Grauschimmeln in Madame la Maréchales schwerer Kalesche auf der Straße nach Versailles. Meine neue Zofe, verwegen und mit

Weitere Kostenlose Bücher