Die Hexe von Paris
der Stadt. Wie hatte sie die Flucht bewerkstelligt? Und nun hatte sie eine weitere loyale Anhängerin – und eine Spionin, die sie über jeden meiner Schritte unterrichtete. »Ihr seid zu großzügig«, sagte ich, und sie warf mir einen harten Blick zu, ehe sie sich ihrem Gemahl zuwandte, der ins Schlafgemach getreten war.
»Da seid Ihr ja endlich – warum seid Ihr nur so langsam! Samson wohnt schließlich nicht am anderen Ende der Stadt!« Antoine Montvoisin trug ausnahmsweise nicht seinen Schlafrock, sondern ein schäbiges graues Habit aus grobgewebter Wolle, dazu einen breiten Filzhut ohne Krempe, der schlaff und verloren auf einer mottenzerfressenen Ziegenhaarperücke saß.
»Er hat mich – hicks – lange warten lassen«, sagte Montvoisin mit dünner Stimme. Seine Gattin zog den Wandbehang zur Seite, so daß die Ofentüre in der Mauer sichtbar wurde. Montvoisin stand mit hängendem Kopf, sein magerer Körper wurde gelegentlich von einem Schluckauf geschüttelt.
»Wickelt sie aus, und legt sie auf die Darre – und laßt sie diesmal nicht tropfen. Um Himmels willen, könnt Ihr diesen infernalischen Schluckauf nicht einstellen?«
»Den habt Ihr – hicks – verursacht, wenn er Euch stört, seid Ihr – hicks – selber schuld. Hebt Euch nächstes Mal Euer Krötenpulver für Eure Klientinnen auf.«
»Wie könnt Ihr es wagen, meine Profession zu beleidigen, wenn Ihr davon lebt? Oh, die sind schrecklich feucht, sie werden ewig brauchen. Konnte Samson uns keine älteren besorgen?« La Voisin huschte umher wie eine eifrige Hausfrau. Mit aufsteigender Übelkeit erkannte ich die Gegenstände, die ihr Liebhaber Samson, der Scharfrichter von Paris, ihr geschickt hatte. Es waren Menschenhände.
»Widert Euch der Geruch denn nicht an, direkt hier im Haus?« Ich bemühte mich, kühl und gelassen zu klingen, als bekäme ich dergleichen oft zu sehen. Doch meine Stimme kam zu dünn heraus.
»Der?« antwortete La Voisin. »Ach, der ist nicht schlimmer als beim Schinkenräuchern. Überdies ist es der Geruch des Wohlstands. Der stört mich nie. Pardon, du wirst ja ganz grün. Mußt du dich setzen?«
Ich sank unvermittelt aufs Bett.
»Daß du mir meinen Teppich nicht beschmutzt. Nimm den Kübel. Du? An den Hof? Du bist noch ein Schwächling.«
»Wofür – wofür sind sie?«
»Das sind Glückshände. Sie führen ihre Besitzer zu verborgenen Schätzen. Damen verwahren sie in ihre Röcke eingenäht, Männer in ihren Taschen. Sie bringen Glück am Spieltisch. Mach nicht so ein Gesicht. Sie sind ganz fest, kein bißchen matschig, wenn sie erst vollkommen getrocknet sind. Sie krumpeln sich zusammen, weißt du. Ich kaufe sie beim Scharfrichter, die Leute waren schon tot. Nicht daß ich sie getötet hätte. Das haben der König und die Gerichte besorgt. Warum sollte einer nicht wenigstens ein bißchen davon profitieren? Ich schaffe Gutes aus Bösem. Ich mache etwas zu Geld, das sonst ungenutzt bliebe – das ist der Vorteil, wenn man etwas vom Haushalten versteht. Man soll nichts umkommen lassen. Lerne von mir, und du wirst imstande sein, die Verruchtheit anderer in deinen Vorteil zu verkehren.«
Ich fragte mich, was die Römer bei Übelkeit taten. Sie waren vermutlich nie in Korsetts gezwängt, wenn sie sich übergeben mußten.
»Antoine, geht, haltet ihr den Kopf. Ich will nicht, daß sie auf das gute Kleid spuckt, das ich bezahlt habe. Nerven! Ha! Du hast keine, Mademoiselle. Und du willst selbständig sein? Sogar der Chevalier de Saint-Laurent – dein eigener Oheim – hat neulich so eine bei mir gekauft. Mach nicht so ein erschrockenes Gesicht. Ich dachte, du wußtest, daß deine Familie seit Jahren zu mir kommt – wie so viele von den besseren Familien in Paris. Dein Oheim schreckt vor nichts zurück, um Geld zu erwerben; er nicht und auch sonst niemand in dieser Stadt.«
»Onkel ist ein Schwein«, sagte ich und wischte mir den Mund ab.
»Und du, meine Liebe, bist eine Memme. Nur gut, daß ich eine Zofe für dich gefunden habe, die mehr Rückgrat hat als du, sonst würde dein Weilen unter den Erlauchten keine Woche währen.«
Als sie die Ofentüre klirrend zuschlug, bot mir Antoine Montvoisin seinen Arm, um mich hinunterzugeleiten.
»Sie mag ja die Mächtige sein, aber – hicks – einerlei, was sie versucht, meine Seele ist fest mit meinem Leib verschraubt. Es hat etwas für sich – hicks –, sich an die Macht zu halten. Aber ich rate Euch, verärgert sie nicht, und wenn, dann nehmt in diesem Hause weder
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