Die Hexe von Paris
hennarotem Haar, saß mir gegenüber, meine Hutschachtel an sich drückend, eng gequetscht zwischen der persönlichen Zofe der Marschallin und einer ihrer armen Verwandten, die ihr als Gesellschafterinnen dienten. Madame selbst und Mademoiselle d'Elbeuf saßen neben mir. Nicht weit von dem Schloß, wo die Straße nach Marly abzweigt, hörten wir hinter uns Rufe und Peitschenknallen.
»Wie viele Pferde?« fragte Madame. Ihre Zofe beugte sich aus dem Fenster, um zu sehen, wer da kam. Einer vierspännigen Equipage würden wir nicht weichen.
»Sechs, Madame«, erwiderte die Zofe.
»Und von welcher Farbe sind die Livreen?«
»Blau und Silber, es sind die der Madame de Montespan.«
»Dann weise meinen Kutscher an, zur Seite zu fahren.« Als unsere Kutsche auf der grasbewachsenen Böschung neben der Straße zum Stehen kam, rollte eine schwere Equipage vorüber; die schäumenden Pferde preschten in vollem Galopp, Schlamm spritzte von ihren Hufen auf. Drinnen konnte ich drei Frauen und das blasse Gesicht eines kleinen Knaben sehen. Wir scherten hinter ihnen wieder auf die Straße, nur um nach einer Meile abermals aufgehalten zu werden. Die grandiose Kalesche stand mitten auf der Straße, die Diener stritten mit den Kutschern, und auf der Straße wehklagten zwei Damen aus der Kutsche über den zerstückelten Leichnam eines Rebschnitters, der von der Kutsche und den Pferden zermalmt worden war. Am Straßenrand hatten sich seine Angehörigen versammelt und starrten stumm. Eine dralle blonde Frau mit vorspringender Nase und fliehendem Kinn beugte sich aus dem Kutschenfenster.
»Steigt wieder ein, sage ich. Was nützt Euer rührseliges Gejammer? Ihr würdet Euch nicht so aufführen, wenn es sich nicht vor Euren Augen zugetragen hätte! Meine Kutscher haben ihn schließlich gewarnt. Jedermann weiß, daß eine Frau in meiner Position schnell fährt – meine Equipage zerteilt den Wind.«
»Das ist Madame de Montespan«, flüsterte meine Zofe. Ah, des Königs neueste maîtresse en titre, von ihrer Position einer maîtresse en délicat aufgestiegen durch den erzwungenen Rücktritt der früheren offiziellen Mätresse La Vallière, die von tausend Demütigungen ins Kloster getrieben worden war.
»Eure Diener sind schuld, und Ihr tadelt sie nicht einmal?« fragte eine der weinenden Damen. Sie erhob sich neben dem Leichnam und herrschte die livrierten Lakaien an: »Wenn ihr mir dientet, ich würde euch etwas lehren.«
»Der da in der Kutsche ist der Duc de Maine, Madame Montespans ältester Sohn, und die da drüben auf der Erde, die in Schwarz und Grau, das ist Madame de Maintenon. Sie ist die Gouvernante der Kinder. Und die andere Frau ist Marquise d'Hurdicourt.« Die Marquise ließ nicht ab, zu wehklagen und die Hände zu ringen, indes die zusammenlaufende Menge Madame Maintenons grimmige Rede mit Beifall bedachte.
»Vive Madame de Maintenon!« riefen sie.
»Seid so gut und steigt ein, Mesdames. Wollt Ihr, daß man mich steinigt?« befahl die Dame in der Kutsche. Aber die weinenden Damen ließen nicht ab, bis die Mätresse des Königs ihnen ihren Geldbeutel gereicht hatte, auf daß sie ihn den armen Verwandten des Toten übergaben.
»Ach du meine Güte«, sagte die Gesellschafterin, »die Augen des Mannes waren ganz aus seinem Kopf heraus. Ich werde eine Tasse Schokolade verlangen, wenn wir ankommen, sonst ist es einfach zu schmerzlich.«
»Mademoiselle, solche Gefühle sind bei einem Fremden gewiß unangebracht. Es war schließlich kein vorsätzlicher Mord«, sagte Madame d'Elbeuf kühl.
In Versailles wurde ich von Mademoiselle d'Orléans, Princesse de Montpensier, vor die Königin geführt. »Ich möchte wissen, ob das Kind, das ich erwarte, ein Mädchen oder ein Knabe sein wird«, erklärte die Königin mit ihrem starken spanischen Akzent. Sie saß in einem brokatbespannten Lehnstuhl mit Goldfransen und vergoldeten Beinen, einen halb geöffneten Fächer aus geschnitztem Elfenfein in der Hand. Sie war ungefähr vierzig, vorzeitig gealtert durch ihre durch Inzucht erzeugte schwache Konstitution. So viele fürstliche Linien vereinten sich in dieser kleinwüchsigen, bläßlichen blonden Frau mit den vorquellenden Augen und seltsamen Zügen – ähnlich denen eines grotesken Wasserspeiers –, die auf schmeichelnden Porträts nie getreu wiedergegeben wurden. Ich konnte nur staunen. Mehrere dunkel gekleidete spanische Damen leisteten ihr Gesellschaft, drei von ihren Lieblingszwergen – zwei männliche, kleiner als ich, aber
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