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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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sehr stämmig, mit riesigen Köpfen, und eine vollendet proportionierte winzige, schrumpelige Frau –, dazu ein gutes halbes Dutzend flachgesichtiger wolliger Schoßhündchen von abstoßender Häßlichkeit.
    »Ich bete täglich um einen weiteren Sohn«, fuhr sie fort. Sie sah nicht schwanger aus, aber ich hatte in diesen Dingen keine Erfahrung. Ich würde mich auf das Glas verlassen müssen. Ich sah mich in dem weitläufigen Raum nach einem geeigneten Tisch um. Gold über Gold, Intarsien-Wandtäfelungen, schwere, erlesen gearbeitete Möbel aus kostbaren Metallen; bei allem Luxus schien der Raum kalt und unbeseelt. Weder dieser Raum noch der Empfangssalon, durch den ich eingetreten war, enthielt ein einziges Buch. Die spanische Königin war eine ungebildete Frau, ihre Konversation ungemein geistlos. Mein Auge fiel auf einen Tisch aus massivem Silber unter einem spanischen Wandbehang. Ich wies darauf, und man brachte mir einen schweren gepolsterten Schemel aus Gold mit eingelegtem Silber, auf den ich mich setzte. Ich hatte eine meiner schönsten Kugelvasen mitgenommen und bat, sie mit Wasser zu füllen. Ich rollte mein kleines kabbalistisches Tuch aus und legte Rührstäbe zurecht. Während ich sang und mit dem Glasstab rührte, betrachtete Ihre Majestät mich wohlwollend. Plötzlich wurde mir klar, warum. Die Damen, die mich umdrängten, trugen altmodische spanische Krinolinen, der meinen nicht unähnlich. Die Hälfte der Anwesenden war kleiner als ich, die anderen nicht viel größer. Ich paßte vollendet zu den Mißgestalten des spanischen Hofes, mit denen sie sich nach all den Jahren in Frankreich immer noch umgab.
    Das Bild war deutlich. Sie war nicht schwanger. Ich wagte nicht, es ihr zu sagen. Ich vollzog eine zweite Lesung und hieß sie ihre Hand auf das Glas legen. Ich sah ein Krankenbett und eine Vase mit späten Frühlingsblumen im Zimmer. Mein Verstand arbeitete schnell.
    »Majestät, es betrübt mich zu sagen, daß Ihr gegen Ende des Frühjahrs eine schwere Krankheit haben und das Kind verlieren werdet.«
    »Das Kind verlieren? Das Kind verlieren? Ich muß noch ein Kind bekommen. Dieses gräßliche Weib fesselt ihn mit ihrer Jugend, ihren Kindern. Aber ich bin die Königin, nicht sie, und doch herrscht sie an meiner Statt. Ach Gott, zu spät beklage ich La Vallière, die sich wenigstens ihres Tuns schämte. Aber nun diese Sünde mit einer verheirateten Frau – dieser schamlosen Metze mit der frechen Zunge –, ich sage Euch, diese Hure wird mein Tod sein –« Sie verfiel ins Spanische, das ich nicht verstand, und ihre Damen beeilten sich, sie zu trösten. Hier werde ich nie mein Glück machen, dachte ich, ich kann ihr keine frohe Kunde geben. Mit tiefen Knicksen zog ich mich von der Königin zurück.
    Auf – wie ich hoffte – dramatische Weise entfernte ich mich steifbeinig vom Eingang zu den Gemächern der Königin und stieß bei jedem Schritt mit meinem Spazierstock auf. Mein schwarzes Kleid raschelte, als ich die Marmortreppe hinabstieg. Im Korridor traf ich auf ein Gewimmel von Lakaien, Sänften und Ausflüglern, ganz so, als befände ich mich auf der Hauptstraße einer großen Stadt. Nur daß diese Straße mit Marmor gepflastert und mit Gold geschmückt war.
    Das Schloß in Versailles glich tatsächlich einer Stadt; die Korridore dienten als Straßen. Diener trugen den Hofstaat von einem Gemach zum anderen, denn zumindest die Damen waren außerstande, in ihren korsettgestützten Hofgewändern und dünnen Satinschuhen auch nur zwanzig Schritte zu gehen. Überdies waren die Korridore nicht immer reinlich genug, um sie ungefährdet zu betreten, wenn man eine Robe trug, deren Kosten dem Jahreseinkommen von tausend Bauernfamilien entsprachen; denn ungeduldige Höflinge verrichteten häufig ihre Notdurft in den Ecken oder an den Wänden. Die Sänften schlängelten sich durch ein Gedränge von Lakaien, von Ausflüglern und Ausländern, die gekommen waren, um die öffentlichen Räume des Schlosses zu besichtigen, von Bittstellern, Soldaten und Quacksalbern. Es war schwer vorstellbar, daß dies alles, die Möbel, die Schwärme von Höflingen, die Neugierigen, die Bedienten, Köche, Theatertruppen – daß dies alles im Handumdrehen zu einem anderen von des Königs Palästen gebracht werden konnte, wann immer ihm der Sinn danach stand, seine Residenz zu wechseln. Doch kehrte er nie in die alte Hauptstadt Paris zurück; den Palais Royal hatte er seinem Bruder überlassen. Und so verfütterten die

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