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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Stallknechte von Paris eine besondere Kost an die neue Zucht von tückischen, kräftigen Kutschpferden, welche die rumpelnden Kaleschen in rasender Geschwindigkeit nach Versailles, St. Germain, Marly und Fontainebleau befördern konnten. Großmutter hatte gesagt, es sei eine Sünde; Könige sollten im Louvre leben, mitten unter den Bewohnern ihrer Hauptstadt. Dies war eine überaus altmodische Vorstellung, die ich nicht für die Marquise de Morville übernahm.
    Die Marquise war unterdessen eine alte Freundin von mir. Sie lebte in meinem Kopf, ließ Bemerkungen über den Verlauf meines täglichen Lebens fallen, belästigte mich des Nachts, wenn ich schwer Schlaf finden konnte. Eine gewitzte alte Dame von heftigem Temperament, prägte sie Aphorismen und tischte mir Lügen über ihre Kindheit auf. Sie ärgerte mich mit abfälligen Verlautbarungen über meinen Charakter und mein Gewerbe, verurteilte Höflinge mit beißender Kritik und lachte über meinen Verdruß. Wenn ich in das stramme Korsett geschnürt und mir die lächerliche glockenförmige Krinoline über den Kopf gestreift wurde, sperrte sie Geneviève mit einem entschlossenen »So! Das Warten wird dir guttun. Zu meiner Zeit haben wir viel mehr gewartet als die jungen Leute heutzutage – und dabei waren wir noch höflich!« in den Schrank ein. Und sie stolzierte, mit ihrem Spazierstock aufstoßend, von dannen, um der Welt dies und jenes zu erzählen und sie eines Besseren zu belehren.
    Jetzt stolzierte sie durch die Korridore von Versailles, eine schrumpelige, Mißbilligung kundtuende kleine Gestalt im Schwarz eines vergangenen Jahrhunderts, die Züge unter einem geheimnisvollen schwarzen Schleier verborgen. Sie mißbilligte den Gestank in den Korridoren, sie lugte empört durch ihren Schleier auf die entblößten Brüste zweier vorübereilender Hofdamen. Über den Aufzug eines Provinzlers rümpfte sie dergestalt die Nase, daß er errötete.
    »Zu meiner Zeit zog ein Herr vor einer Dame von Rang den Hut und berührte ihn nicht nur, als sei er mit seinen Haaren verwachsen«, sagte sie zu einem schlanken Herrn mit olivenfarbener Haut. Der Mann sah sie fest an. Visconti, der Wahrsager. Die Marquise hatte von anderen Wahrsagern nichts zu befürchten. Schon gar nicht von Visconti, dem mindestens hundert Jahre ihrer Erfahrung fehlten.
    »Einen guten Tag wünsche ich Euch, Monsieur Visconti. Ihr habt meine Meinung über Euch mit Eurem zweiten Versuch ganz und gar wiederhergestellt.« Visconti hatte seinen Hut mit überschwenglicher Gebärde gezogen und eine vollendete höfliche Verbeugung gemacht.
    »Meine liebe Marquise, ich bin entzückt, Euch durch diesen glücklichen Zufall zu begegnen. Meine Mächte sagen mir, daß Ihr soeben von der Königin behufs Schwangerschaft konsultiert wurdet.«
    »Merkwürdig. Meine Mächte sagen mir von Euch dasselbe. Ich vermute, Ihr habt ihr den Sohn prophezeit, den sie sich wünscht.«
    »Nein, denn ich möchte meine Reputation bei Hofe über ihre Fehlgeburt im April hinaus bewahren.«
    »Das war klug von Euch. Ihr werdet es weit bringen, Visconti.«
    »Das ist schon geschehen, kleine Füchsin. Gestern abend brachte man mich in das Königs petit coucher. Verzehrt Euch vor Neid. Wenngleich mir unbegreiflich ist, warum die höchsten Adeligen des Landes hunderttausend Écus bezahlen für das Vorrecht, den König auf seiner chaise percée sitzen zu sehen, bevor er sich zurückzieht. Ihr Franzosen seid eine verrückte Nation. Und der König ist verpflichtet, sich auf seinen Nachtstuhl zu setzen, ob die Natur es erfordert oder nicht.«
    »Monsieur Visconti, Ihr nutzt es aus, daß Ihr Ausländer seid. Alles, was unser Herrscher tut, ist die Vollkommenheit selbst.«
    »Ich sagte nicht, daß es nicht vollkommen sei. Sagt mir, habt Ihr noch mehr von Euren Salben verkauft, nachdem Ihr nun in solch illustre Höhen aufgestiegen seid?« Im Laufe unseres Gespräches waren wir in den Korridor vor dem cour des princes gelangt. Am anderen Ende führten große Türen in den Garten. Zwei Lakaien hielten ihrem Herrn die Türe auf, der eine Dame für eine Rundfahrt durch die Gärten zu einer wartenden Kalesche geleitete.
    »Hier halte ich Lesungen ab; die sind gefragter – oh, wer ist das?« Ich war froh, verschleiert zu sein. Die Marquise de Morville floh verwirrt und ließ Geneviève Pasquier mit offenem Munde wie angewurzelt stehen.
    »Duc de Vivonne, La Montespans Bruder. Sie hat ihn zu einem mächtigen Manne gemacht. Gewiß müßtet Ihr ihn kennen

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