Die Hexe von Paris
ächzten. Es gab keine Wohltätigkeit mehr. Stöhnen, Schreie der Zustimmung erfüllten bei seinen gelungensten Passagen die Kapelle. Allen war überaus wohl zumute. Auch als sich Bordalue weitschweifig über die Notwendigkeit der Reue ausließ, der Hingabe an gottgefällige Werke, der Rückkehr zu den heiligen Banden der von Gott gesegneten Familie. Eine Stunde verstrich. Als er die präzisen Abstufungen der Sünde beschrieb und alle Damen in leidenschaftlicher Reue schluchzten, tat sich mir Schreckliches kund: Meine Natur machte ihre Bedürfnisse geltend. Eine weitere Stunde verging. Ich hatte nicht geahnt, daß solche Qualen möglich waren. Meine Gefährtinnen sahen mein rotes Gesicht und wandten sich amüsiert ab. Der weitere Verlauf der Messe verging wie im Nebel. Glocken, Weihrauch, die Erhebung der Hostie. Ende. Der König erhob sich und ging hinaus, umgeben von seinen Höflingen, die sich sachte schubsten, um einen besseren Platz zu ergattern.
»Wo ist der –?« Ich mußte die Frage nicht zu Ende stellen.
»Ich zeige es Euch, Madame«, sagte die Gesellschafterin der Comtesse. Der König durchmaß den Korridor vor der Kapelle, langsam, wie eine Galeone, und nickte den Höflingen und Bittstellern majestätisch zu. Ich gewahrte noch, daß einer von ihnen sich aus der enttäuschten Menge löste, um uns zu folgen, als wir in das nächste Gemach eilten und eine Gebühr entrichteten, um ein privates Nachtgeschirr hinter einem Wandschirm benutzen zu können. In dieser Hinsicht hatten die Damen von Versailles stets mehr zu leiden als die Männer, die sich Mühe und Kosten ersparten und sich ungeniert in den Korridoren erleichterten.
»Leider hat man Euch nicht vor Monsieur Bordalue gewarnt. Neulinge lernen stets auf beschwerliche Weise«, sagte die Gesellschafterin der Comtesse. Sie nutzte die Situation, um eine kleine Porzellanvase, die sie unter ihren Röcken befestigt hatte, in das Nachtgeschirr zu leeren. »Diese Gefäße werden ihm zu Ehren ›Bordalues‹ genannt.« Die kleine Rache der Comtesse. Nur um mich zu erinnern, daß ihre Gunst zweischneidig war.
Als ein Lakai uns in den Korridor führte, fand ich den Fremden im Gespräch mit Sylvie, die vor der Kapelle gewartet hatte und uns dann auf unserer Flucht ins Unerläßliche nachgeeilt war.
»Madame.« Er ließ von ihr ab und wandte sich mir zu. »Können wir reden? Ich glaube, ich brauche – äh – eine Wahrsagung.« Ich entließ die Gesellschafterin der Comtesse, auf daß sie mit der amüsanten kleinen Geschichte, die sie zu berichten hatte, zu ihrer Herrin eile. »Ihr habt Einfluß; ich habe Euch mit großen Herren gesehen; beinahe an jedem elenden Tag, den ich an diesem Ort verbrachte, sah ich Euch in den Korridoren umdrängt. Und nun – Eure Zofe sagt mir, Ihr seid mit der Duchesse de Vivonne bekannt.« Ich funkelte Sylvie an. Mußte sie schon wieder protzen! Wieviel Geld hatte sie von diesem Mann genommen, dem ich nicht helfen konnte?
»Ich fürchte, die Duchesse de Vivonne wird ihren Einfluß nicht für weniger denn tausend Pistoles ausüben, und das nur, um eine Bittschrift weiterzureichen. Ihr habt keine Gewähr, daß der König sie erhalten wird. Nein, Ihr tut viel besser daran zu versuchen, sie dem König persönlich zu übergeben.« Der Mann hatte keine Chance. Er trug die bäurische Tracht eines verarmten Landedelmannes. Seine Absätze waren zu flach. Seine Schnallen waren Talmi. Hals und Handgelenke waren ohne Spitzen. Seine Perücke saß schlecht über seinem zerfurchten, sonnengebräunten Gesicht, und die Federn an seinem Hut waren geknickt und schäbig. Ein hobereau, ein Provinzler.
»Es ist nur noch wenig Zeit, und ich habe tagelang gewartet – wenn der König seine Kutsche verließ, vor der täglichen Messe am Eingang der Kapelle, an der Türe von des Königs cabinet de conseil. Ich werde zur Seite gestoßen, er sieht mich nicht. Aber ich muß angehört werden. Ich muß mein placet vom König erhalten, sonst ist mein Sohn verloren.«
Er war also nicht darauf aus, ein Amt zu erlangen oder eine Erbschaft zu sichern. Meine Neugierde war geweckt, und er dauerte mich. Die meisten Leute verwenden Monate und Tausende Écus auf das Bemühen, dem König eine Bittschrift zu überreichen. Man bestach Lakaien, um zu erfahren, welchen Weg der König nehmen würde; man kaufte Hofgarderobe, man mietete sich zu einem horrenden Preis ein Mansardenstübchen in der Stadt Versailles. Nur ein Provinzler konnte etwas anderes erwarten.
»Was ist der
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