Die Hexe von Paris
kamen.
Das einzige Kleid, das ich mir wirklich wünschte, wurde in aller Heimlichkeit angefertigt. Monsieur Leroux, der Tuchhändler, hatte mir die Seide wohlfeil überlassen. Aber es war kein Kleid für die alte Marquise und mußte vor La Voisins Spioninnen geheimgehalten werden. Es war ein Kleid für ein junges Mädchen, noch keine zwanzig. Oberteil und Rock in Rosa, der Rock zurückgerafft, so daß ein elfenbeinfarbenes Taftunterkleid hervorlugte, und ein Leibchen, bestickt mit Blumen wie ein Garten im Frühling. Ich wollte darin mit André Lamotte in der Orangerie Spazierengehen. Ich wollte den schweren Duft der Blüten riechen und ihn sagen hören: »Ich habe es früher nicht bemerkt; Ihr seid sehr schön. Stets habe ich das falsche Gesicht am Fenster betrachtet.« Ich wußte, ich war eine Närrin, doch es nicht zu sein, war mir unerträglich. Es mußte geschehen.
»Und wie reich gedenkt Ihr zu werden?« unterbrach Sylvies Stimme meine Gedanken.
»Reich genug, um meine Verletzungen zu heilen. Ich werde Geld scheffeln, bis es alle meine Wunden bedeckt.«
»Von hundertfünfzig Jahren? Ihr werdet einen großen Haufen scheffeln müssen.«
»Das ist meine Absicht.«
»Gut, dann könnt Ihr morgen bei der Comtesse de Soissons beginnen. Sie dürfte eine Stammkundin werden, denn sie läuft immerfort zu Wahrsagerinnen. Sie schickte einen allerliebsten kleinen Pagen, über und über mit Bändern geschmückt, als Ihr heute nachmittag fort wart. Ihr hättet sehen sollen, wie er errötete, als ich vorgab, mein Strumpfband hochzuziehen!«
Olympe Mancini, Comtesse de Soissons – eine Witwe von eigener Hand, hieß es, und eine mächtige Frau, auch sie eine Nichte des verschiedenen Kardinals Mazarin.
»Bringe dich nicht in Schwierigkeiten, indem du Pagen über die Natur belehrst.«
»Schwierigkeiten? Das ist kein Problem. Madame Montvoisin bringt alles in Ordnung.«
»Ich hoffe nicht, daß du meinst –«
»Meine Güte, wo habt Ihr gelebt, auf dem Mond? Madame Montvoisin bietet die besten Dienste in der Stadt. Ich empfehle sie allen. Gefahrlos und verschwiegen. Nicht wie die anderen. Die machen einen Fehler, und voilà!, läßt man den Leichnam in den Fluß plumpsen. Madame macht keine Fehler. Bei ihr ist man sicherer aufgehoben als beim Leibarzt des Königs. Ihre Organisation umschließt die Allerbesten in der Stadt; sie arbeiten in ihrem Auftrag. Die Damen der Gesellschaft gehen alle zu ihr. Wie könnten sie sonst das galante Leben am Hofe führen? Ihr habt ihr doch selbst genügend Kundinnen gebracht.«
O Geneviève, wie konntest du nur so dumm sein? Wie konntest du auch nur einen Moment glauben, La Voisin hätte für das viele Geld, das sie einnimmt, keine richtigen Dienste geboten? Sie war eine Engelmacherin, eine Abtreiberin in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen, und die Wahrsagerin war ein Deckmantel. Die Strafe dafür war Folter und Tod – für sie, für ihre Komplizinnen, für die Frauen, die ihre Dienste in Anspruch nahmen. Plötzlich sah ich alles ganz klar. Die Geheimzeichen, die ängstlichen Gesichter. Ein Netz von verschwiegenen Frauen, alle durch Furcht und die Möglichkeit gegenseitiger Erpressung aneinander gebunden, verbarg sich hinter der glänzenden Fassade von Galanterie und Geschmeide, von eleganten Roben und Samtmasken. Coiffeure, Parfümeure, Damenschneider, alle waren in einem geheimen Geschäftskartell organisiert. »Ihr habt ein Problem, meine liebe? Ich kenne die geschickteste Frau, die es beheben kann. Niemand muß es je erfahren.« Und ich steckte mitten darin.
Als ich die Kerze ausblies, fragte ich: »Und La Bosse?«
»Ein schmutziges Weib. Nur Huren gehen zu ihr.« Ich lag im Dunkeln und versuchte, die Furcht mit Logik zu besiegen. Immerhin, sagte ich mir, wäre ich ohnehin tot im Fluß gewesen. Wenn ich also erwischt werde, könnte ich mich vor dem Verhör und der Exekution umbringen, und der einzige Unterschied wäre, daß ich mich amüsiert habe, statt ein bißchen länger auf dem Grund des Flusses zu liegen. Ich hatte Spaß bei der Sache gehabt. Abgesehen von dem Korsett, war es mir nie besser ergangen. Ich war überallhin eingeladen worden. Ich hatte davon geträumt, hübsch zu sein wie andere Mädchen. Doch dann fiel mir Onkel ein. Was hätte er Gottloseres tun können, als mich in die Gefahr zu bringen, sein Greuel zu tragen? Bei seiner Geburt zu sterben? Oder es auf der Kirchentreppe auszusetzen, damit es auf hundert andere grausige Arten stürbe? Und abgesehen von dem
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