Die Hexe von Paris
an mir begangenen Vergehen, welcher Mann würde dies seinem eigenen Kinde antun? Wie von selbst kam mir die Antwort in den Sinn: alle Männer.
Ich setzte mich im Dunkeln auf und tastete nach dem Labsal auf der Nachtkonsole. Doch obwohl ich einen großen Schluck direkt aus der Flasche trank, brachte es mir keinen Schlaf. Und als ich mich in den zerknüllten Laken verhedderte, spürte ich die unheimliche Wärme des Ofens hinter der Tapisserie und sah die verzweifelten Augen der Frauen im Wartezimmer, und ich hörte Onkel lachen, weil er ein Mann war und alles tun konnte, was ihm beliebte.
KAPITEL 12
V or der Comtesse de Soissons müßt Ihr Euch hüten«, erklärte Sylvie, während sie mein Korsett zuschnürte. »Uff – wollt Ihr es wirklich bis oben hin so eng haben? Mir seht Ihr aufrecht genug aus, wenn Ihr es erst anhabt – also, Ihr solltet sie nicht düpieren, wollte ich sagen. Diese italienischen Damen, alles Giftmischerinnen. ›Die italienische Seuche‹ – das ist mehr als eine Krankheit, sage ich! Und Comte de Soissons ist vor zwei Jahren unter sehr mysteriösen Umständen gestorben, von den anderen in ihrer Umgebung gar nicht zu reden. Und ihre Schwester, die Herzogin von Bouillon, die ist auch so eine, sage ich Euch. Wenn ihr Salon auch noch so elegant ist, sie ist und bleibt eine Mancini, und es heißt, sie könne es kaum erwarten, Witwe zu werden – tut nicht so erstaunt, glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede. Gefallt Ihr der Comtesse, könnt Ihr bei all den ehrgeizigen, intriganten Damen Euer Glück machen. Hingegen, wenn Ihr tot seid, nützt es keiner von uns im geringsten, also seid wachsam.«
Comtesse de Soissons, eine dunkelhaarige Frau mit einem spitzen, verschlagenen Gesicht und einer kindlichen Himmelfahrtsnase, empfing mich in ihren Gemächern im Palast. Die Räume waren klein, doch für den Standard von Versailles, wo die Höflinge auch der höchsten Stände zusammengepfercht sind wie Salzheringe in einem Faß, waren sie außerordentlich groß und günstig gelegen. Und es verstand sich von selbst, daß die vergoldeten Intarsienmöbel, die dicken Teppiche und Seidentapisserien sagenhaft luxuriös waren.
»Ich möchte wissen, ob ein – überaus nobler – Liebhaber sich mir wieder zuwenden wird«, flüsterte sie außer Hörweite ihres Gefolges. Schon wieder eine, dachte ich, die mit dem König schlafen will. Sie kamen zu Dutzenden, hoch und niedrig. Arme Landadelige opferten ihren letzten Sou, um ihre hübscheste Tochter bei Hofe vorstellen zu können; erlauchte Damen, vermählt oder nicht, boten Bestechungen, um unter die Hofdamen der Königin zu gelangen, wo der König sie häufig sehen könnte. Sie schmiedeten Pläne und kauften beutelweise Liebesamulette. Wann immer der König sein Auge schweifen ließ, kam Leben ins Geschäft. Eine Nacht mit dem König war wie ein Hauptgewinn. Zwei oder drei Nächte mit dem König, und der Hofstaat verneigte sich. »Das ist die neue Favoritin«, flüsterten sie dann, und die anderen Damen wendeten ihre kalten, gepuderten Gesichter ab. Es war eine magische Verwandlung, und die Familie erntete Wohltaten – Pensionen, Ämter, Titel. Nur eine abgelegte Mätresse war nicht zu beneiden; jedermann kannte das Schicksal von La Vallière, die, einst zur Herzogin ernannt, nun mit geschorenem Haupt und ihrer Kinder beraubt in den dumpfen Mauern des Karmeliterinnenklosters schmachtete. Eine sehr erbauliche Veränderung im Leben, befanden einzig die Priester.
Das Bild im Glas war ganz klar, der Sinn jedoch vage. »Ich vermag nicht zu erkennen, was das bedeutet«, sagte ich frei heraus. »Ich sehe Euch in einer achtspännigen Kutsche; sie fährt mit höchster Geschwindigkeit im Licht von Fackeln, welche von Vorreitern getragen werden, durch die Dunkelheit.«
»Zu einem nächtlichen Stelldichein. Nach Marly, ohne Zweifel. Ich werde seine Liebe zurückgewinnen.« Ich ließ es dabei bewenden.
»Bei einer so günstigen Lesung wünscht Ihr vielleicht, das Bild im Glas zu vertiefen. Ich kenne eine Frau in der Rue de Beauregard, die Euch helfen kann –«
»O mein Gott, Ihr gehört auch zu La Voisin! Daß ich das nicht geahnt habe!« Sie ließ sich mit einem matten Lachen in ihren Lehnstuhl zurückfallen. »Das ist einfach zuviel – ihre Leute sind überall.« Sie beugte sich wieder vor. Ihre Stimme klang spitz von fürnehmer Beherrschung. »Sagt mir, was seht Ihr im Glas für Madame de Montespan? Ich werde Euch diese zweite Lesung gut bezahlen.«
Ich legte meine
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