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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Inhalt Eurer Petition, Monsieur –?«
    »Honoré d'Urbec, von den d'Urbecs aus der Provence, zu Euren Diensten.« Er lüftete schwungvoll seinen Hut und verbeugte sich tief. Mir stockte der Atem. Lamottes Freund. Ein solch seltener Name war unverwechselbar.
    »Eine alte Familie?« fragte ich höflich.
    »Überaus alt und ehrwürdig«, erklärte er unter lebhaftem Gestikulieren. »D'Urbecs gab es schon zur Zeit Julius Caesars, allerdings wurde der Name damals anders buchstabiert; d'Urbecs waren bei Karl dem Großen, bei den Kreuzzügen. Entspräche unser Vermögen dem historischen Ruhm unseres Namens, wir wären unter den ranghöchsten Familien Frankreichs, wie wir es, im moralischen Sinne, für diejenigen sind, die über die richtige Urteilskraft verfügen –« Ein Mann, der in Träumen lebt, dachte ich. Wie vieles davon ist wahr? Er hielt plötzlich inne, als sei er unter meinem scharfen Blick erstarrt. Er wirkte verlegen. »Ich kann es Euch ebensogut jetzt sagen, Madame, auf daß Ihr entscheiden könnt, ob Ihr unser Gespräch fortsetzen wollt: Unsere Familie hat zur Zeit meines Großvaters ihren Adelsstand durch Betreiben von Handel verloren. Nun sind wir so weit gesunken, daß wir Steuern bezahlen müssen wie Bürgerliche.«
    »Ich möchte unser Gespräch auf alle Fälle fortsetzen, Monsieur d'Urbec. Jedoch nicht hier im Korridor. Außerdem habe ich eine Verabredung, die ich nicht verschieben kann. Treffen wir uns nach dem Mittagsmahl im Bosquet des Dômes. Dort können wir in Muße weiterreden. Der Hain hat in dieser Jahreszeit für die Höflinge keinen Reiz, wir werden ungestört sein.«
    »Um welche Zeit?« fragte er, indem er eine altmodische, aber sehr kunstvoll gearbeitete eiförmige Uhr aus seiner Tasche zog. Eine erstaunliche Uhr für jemanden, der so gekleidet war. Sie zeigte die Mondphasen ebenso an wie die Stunden.
    »Wollen wir sagen, um drei Uhr, Monsieur d'Urbec? Ich bedaure, daß ich nicht früher frei bin.« Ich hatte keinesfalls die Absicht zu gestehen, daß ich wie die meisten Bewohner von Versailles eine schamlose cherchemidi geworden war, jemand, der es auf freie Kost an den Tischen der Großen abgesehen hatte. Ich entschuldigte mich vor mir selbst damit, daß ich mir sagte, es ziehe Kundschaft an. Es ersparte auch Geld. Ich stellte das für Mahlzeiten ausgegebene Geld in Rechnung und steckte es in meine eigene Tasche. Es dünkte mich vollkommen gerechtfertigt, da ich so viel an La Voisin abgab. Natürlich mußte ich es mit Sylvie teilen, als Entgelt für ihr Schweigen, aber auch sie brauchte ein Taschengeld.
    Ein scharfer Frühlingswind bog die knospenden Zweige im Bosquet des Dômes, und ich war froh über mein dickes Umschlagtuch, als ich aus der Sänfte stieg. D'Urbec wartete schon im Gewölbe des ersten Haines. Er schwenkte seinen schäbigen Hut zum Gruß.
    »Jetzt bin ich bereit, mir alles anzuhören, Monsieur d'Urbec«, sagte ich. Wir ließen uns auf einer geschnitzten Steinbank nieder. Ich muß gestehen, ich fand es aufregend wie jede Kunde, die Licht auf ein Stück von Lamottes Leben mit seinen Freunden warf. Wie es schien, hatte d'Urbec seinen jüngsten Sohn zum Studium der Jurisprudenz ans Collège de Clermont geschickt. Ein Oheim, das Oberhaupt der Familie, hatte die Fähigkeiten des Knaben erkannt und ihm, da er selbst nur Töchter hatte, das Studium bezahlt.
    »Mein Bruder, müßt Ihr wissen, ist nicht wie wir. Er ist ein erfolgreicher Steuereintreiber und wünschte sich innig einen Erben, dem er seine Ämter vermachen könnte. Ich war zu jener Zeit weit weniger erfolgreich, wenn man von den Söhnen absah. Daher überließ ich ihm Florent. Diese Möglichkeiten, Ihr versteht. Ausbildung, Geld. Vielleicht eines Tages genügend Wohlstand, um die Bestrebungen der Familie zu erfüllen – erfolgreich um die Wiedererlangung des Adelsstandes zu ersuchen. Welcher Vater würde sich dies nicht für seinen Sohn wünschen? Dann hörte ich, daß er in schlechte Gesellschaft geraten war und seine Studien vernachlässigte. Weiber, nehme ich an, und zwielichtige Kaschemmen, in denen sich erwerbslose Schreiberlinge herumtreiben. Sein Oheim war wütend und drohte, alle Verbindungen zu ihm abzubrechen. Ich kam vor zwei Wochen nach Paris, um ihn zur Rede zu stellen, ihn zu bedrängen, seinem Oheim in allem zu gehorchen – und was finde ich? Sein Zimmer ist versiegelt. Er ist verhaftet. Ich war bei der Polizei, beim Richter. Ich konnte nicht erfahren, wessen man ihn bezichtigte. Dann traf ich auf

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