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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Augen zusammen, indes sie den Betrag auf der Zunge zergehen ließ. Ein Vermögen. Mehr als die meisten Staatsminister. Mehr als alle Adelsfamilien im Königreich, ausgenommen die ganz großen. Daneben nahm sich das Vermögen in der Schatulle winzig aus, das Jahreseinkommen einer bescheidenen Landadelsfamilie.
    »Kontrakt ist Kontrakt«, sagte ich, als wir die wacklige Außentreppe hinabstiegen.
    »Manchmal denke ich, für eine alte Dame seid Ihr recht einfältig«, erwiderte sie und stöhnte unter der Last ihrer Bündel.
    Wir kamen am Ostersonntag nach der Messe zur Villa in der Rue Beauregard. Von der Küche her drang der Duft mehrerer Fleischgerichte, mit denen die lange Fastenzeit gebrochen wurde, durch alle Räume. Das ganze Haus war für den Festtag frisch geputzt. Auf dem Buffet glänzten die polierten Silberschalen. Die Teppiche waren geklopft, die dunklen Möbel bis zum letzten Knauf und Schnitzwerk abgestaubt. Marie-Marguerite eilte geschäftig in einem neuen Kleid mit Haube vorüber; über ihre frische Schürze aus Linnen und Spitze wäre meine Schwester einst in Verzückung geraten. Nur Antoine Montvoisin war nicht in neuen Kleidern zu sehen. Er lag oben krank zu Bett. Sylvie folgte mir mit der verschlossenen Schatulle in La Voisins kleines Kabinett.
    »Du siehst verdrießlich aus. Sag, war das Leben kein Plaisir? Unter meiner Führung könntest du immer so leben. Vergiß nicht, daß ich dich gemacht habe«, fügte die Hexenmeisterin hinzu, indes sie das Geld auf ihrem Schreibpult zählte und ihr großes Hauptbuch aufschlug. Das kleine Katzengesicht blinzelte mich von einem Papierstapel mit kabbalistischen Zeichnungen an. »Ist das alles?« fragte sie argwöhnisch.
    »Alles. Ich habe eine Abrechnung, wenn Ihr wünscht.« Sylvie hielt ihr die offene Schatulle hin. Mit plötzlich besorgter Miene nahm La Voisin das zuoberst liegende Rechnungsbuch; ihre Besorgnis wich jedoch Erleichterung, als sie die Seiten durchblätterte.
    »Alles verschlüsselt. Ausgezeichnet«, sagte sie. »Hin und wieder hast du doch einen vernünftigen Einfall. Trotzdem, benutze für die größten Kunden nur Initialen oder einen Decknamen. Denke daran, unsere erste Pflicht ist es, unsere Klientel zu schützen. Wir gehen schweigend ins Grab. Das ist es, was unser Gewerbe beschützt.«
    »Das Gewerbe der Wahrsagerei oder das Gewerbe der Abtreibung?« fragte ich.
    »Meine Güte, einmal das große Leben gekostet, und schon werden wir hochfahrend, wie? Die am höchsten aufsteigen, sind die Undankbarsten. Bedenke, du bist jung und hast keine Verpflichtungen; ich aber habe zehn Mäuler zu stopfen.«
    »Ihr verdient mehr als die meisten Staatsminister.«
    »Aber mit weit mehr Schwierigkeiten und Kämpfen, meine Liebe. Höre auf mich, und ich werde dich lehren, Gebieterin über große Unternehmungen zu werden. Eines Tages wirst du so reich sein wie ich.« Sie klappte ihr Hauptbuch zu und stand auf, um das Geld in ihre Kassette zu schließen. Eine ihrer Katzen, die am Feuer döste, stand auf und rieb sich an ihren Fesseln. Seltsam, grübelte ich. Sie hat keine schwarzen Katzen. Man sollte meinen, als Hexe müßte sie nur schwarze Katzen haben. Dann wandte sie sich mir zu, als sei ihr soeben etwas eingefallen, doch die Geste wirkte gekünstelt. »Ich habe mir etwas überlegt«, sagte sie in gezwungenem Ton. »Da du nun aufsteigst, benötigst du eine bessere Adresse. Das Vorderzimmer einer billigen Pension ist kaum der rechte Ort für die Sensation von Versailles, um dort ihrem Gewerbe nachzugehen. Wie wäre es mit einer prächtigen kleinen Wohnstatt? Oder, besser noch, einem Stadthaus? Ganz verschwiegen. Die illustre Kundschaft liebt Verschwiegenheit. Meine allerfeinste Klientel gibt sich nur mit meinem Gartenpavillon zufrieden. Im Marais wird ein bezauberndes kleines Haus frei –«
    So bald schon ein Haus? dachte ich. Das ist keine reine Wohltätigkeit. Möchte wissen, ob Sylvie ihr erzählt hat, daß La Bosse versuchte, mich für ihre eigene »Vereinigung« anzuwerben. Nicht daß ich ihr beitreten will – Marie Bosse stochert mit einer Messerspitze in ihren Zähnen und kleidet sich wie eine Vogelscheuche. Außerdem kann sie weder lesen noch schreiben. Wie kann sie ohne Rechnungsbücher ordentlich organisieren? Aber vielleicht hat Sylvie sich das Haus gewünscht. Sie ist geschickt genug, es auf diese Weise zu handhaben.
    »Das Haus ist etwas klein«, sagte La Voisin, »aber eine allererste Adresse, und es hat einen verschwiegenen Hinterausgang.

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