Die Hexe
Sonst hatte niemand Zugang zu meinem Haus.«
»Und wenn es so wäre? Ich sterbe sowieso bald«, erwiderte der Prior ungerührt. »Geh jetzt, Dämon.«
»So einfach ist es nicht«, seufzte Santiago. »Ob Sie wollen oder nicht, Nikodim, Sie werden sich damit abfinden müssen, dass es mich gibt. Dass es uns gibt. Und dass wir auch nach Ihrem Tod noch da sein werden. Ich weiß, dass Sie uns für Feinde halten. Man hat Ihnen das so eingeimpft. Das ist zweifellos schade. Doch solange Sie uns nicht in die Quere gekommen sind, hatte ich mit dieser Abneigung Ihrerseits kein Problem. Das hat sich nun geändert.« Santiagos Ton wurde eisig. »Sie haben sich mir in den Weg gestellt, Nikodim, haben sich mit meinen Feinden gemeingemacht, und dafür müssen Sie jetzt geradestehen.«
»Deine Drohungen überraschen mich nicht, Dämon. Aber ich habe keine Angst vor dir.«
»Ich muss herausfinden, wer in den Besitz meiner Schatulle gekommen ist«, stellte der Kommissar unmissverständlich fest. »Und Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, dass Ihr bedauernswerter Zustand Sie vor unangenehmen Fragen schützt.«
»Von mir erfährst du nichts, Dämon.« Der Prior strich mit der Hand über seinen Bart. »Selbst wenn du mich folterst.«
»Ich habe nicht die Absicht, Sie zu foltern.« Der Kommissar grinste und dieses in der Tat dämonische Grinsen verhieß nichts Gutes. »Sie sind todgeweiht, Nikodim. Ein Verhör der besonderen Art würde Ihr Ende nur beschleunigen. Es gibt hier genug andere Versuchsobjekte. Zum Beispiel den Jungen draußen.«
»Lass Alexej in Ruhe, Dämon! Er weiß nichts!«
»Das werden wir dann schon sehen«, versetzte der Naw. »Womöglich haben Sie ihm mal etwas zugeflüstert und er hat es sich gemerkt. Er ist doch noch so jung und hat gewiss ein gutes Gedächtnis.«
»Lass die Finger von Alexej, Dämon!« Die Hände des Priors begannen zu zittern.
»Es geht nicht nur um diesen jungen Mann.« Die schwarzen Augen des Nawen begannen unheilvoll zu funkeln und seine Ohren spitzten sich zu. »Sie reißen alle, die hier leben, mit in den Abgrund. Ich muss wissen, wer meine Schatulle hat, und ich werde es herausfinden. Und dann werde ich dieses Nest hier niederbrennen! Nikodim, Sie haben völlig zu Recht bedauert, dass Sie nicht vor meinem Erscheinen gestorben sind.«
Der Prior begann schwer zu atmen und seine Hände krallten sich krampfhaft in sein Hemd. Sein Gesicht wurde rot, die Augen traten aus den Höhlen und sein eingefallener Mund schnappte nach Luft.
»Verdammt!« Santiago wurde klar, dass Nikodim sein Leben aushauchte.
Damit hatte der Kommissar nicht gerechnet. Er hatte überhaupt nicht vorgehabt, seine Drohungen wahrzumachen, sondern darauf gehofft, dass der Alte vernünftig wird und auspackt.
Der Naw reagierte blitzschnell. Nikodim hatte bereits das Bewusstsein verloren, doch sein Gehirn lebte noch. Mit einem raschen Zugriff auf sein Gedächtnis konnte es vielleicht noch gelingen, die nötigen Informationen aus ihm herauszubekommen. Ein solcher Eingriff konnte einen Humo geistig zerrütten oder gar töten, doch bei dem sterbenden Prior kam es darauf nicht mehr an.
»Eljar …« Santiago sprach das erste Wort der Zauberformel und legte die Hand auf Nikodims Kopf. »Aldyk …«
Plötzlich legte sich eine jugendliche Hand auf die Schulter des Kommissars.
»Lassen Sie ihn in Frieden sterben, Dämon, versündigen Sie sich nicht an seiner Seele.«
Neben dem Nawen stand der Novize Alexej.
»Das wird leider nicht möglich sein, mein Freund«, entgegnete Santiago milde. »Ich muss Antwort auf meine Fragen bekommen. Urgan kektoai …«
»Ich werde Ihnen alles erzählen, Dämon.« Die Hand des Novizen drückte stärker auf die Schulter des Kommissars. »Lassen Sie den Prior in Frieden.«
»Wissen Sie denn etwas? Urum zitaj …«
»Sie heißt Kara«, sagte Alexej hastig. »So weit ich mich zurückerinnern kann, hat sie Nikodim viermal besucht. Er hat ihr die Schatulle gegeben, die aus Ihrem Haus stammte.«
Santiago nahm die Hand vom Kopf des Sterbenden und seine kalten schwarzen Augen richteten sich auf den jungen Mann. Nikodim hatte sich große Sorgen um den Novizen gemacht, sah er in ihm seinen Nachfolger? Der Kommissar taxierte Alexej flüchtig: Eine Veranlagung zur Magie hatte er durchaus. Nicht weltbewegend, aber für einen Humo nicht schlecht.
»Sie sind sehr mutig, junger Mann.«
Alexej konnte den bohrenden Blick des Nawen kaum ertragen, doch er zwang sich, ihm standzuhalten.
»Können Sie diese
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