Die Hexe
liegt – in allen Details.« In ihren grünen Augen glomm ein Anflug von Stolz. »Dann habe ich mich total konzentriert und genau den richtigen Moment für die Zauberformel erwischt. Ich war selbst überrascht, dass es geklappt hat, ehrlich. Dummerweise ist mir ein kleiner Fehler dabei unterlaufen.« Larissa verzog das Gesicht. »Das Teil schreibt schwarz, ich wollte aber einen mit blauer Tinte.«
Wortlos begutachtete Kara den Parker und probierte ihn auf einer Zeitung aus: ein ganz gewöhnlicher, makelloser Federhalter, der mit schwarzer Tinte schrieb. Die Zauberin konzentrierte sich und scannte die Materialstruktur – eindeutig: Dieser Parker war durch Magie entstanden. Unfassbar! Eine Materialisation in der dritten Ausbildungswoche! Langsam wurde ihr die enorme Veranlagung dieser jungen Frau unheimlich. Für einen Moment kamen ihre sogar Zweifel, ob sie Larissa überhaupt würde kontrollieren können, doch diese Bedenken verwarf sie rasch wieder. Schließlich hatte sie weitaus mehr Erfahrung und außerdem blieb nicht viel Zeit: Das Mädel würde gar nicht mehr dazukommen, seine Fähigkeiten auszuschöpfen.
»Saubere Arbeit!«, lobte die Zauberin und Larissa strahlte vor Freude. »Einfach fantastisch. Ich freue mich für dich. Kannst du noch irgendetwas anderes materialisieren? «
»Keine Ahnung.«
»Probier’s aus. Beim zweiten Mal geht es meist schon leichter als beim ersten Mal. Versuch es zum Beispiel mal mit einem Blatt Papier.«
Larissa schloss die Augen und ihre schmalen Lippen bewegten sich tonlos. Sie wirkte einen Zauber und Kara konnte spüren, wie sich ihre Aura mit Energie auflud. Und zwar rasant auflud! Viel zu rasant für eine Hexe, die noch Anfängerin war!
Urplötzlich lag das Blatt Papier auf dem Tisch. Normalerweise materialisierten sich Gegenstände allmählich: Zuerst erschienen transparente Umrisse, die sich langsam mit Energie füllten und erst dann ihre materielle Dichte annahmen. Bei Larissa ging alles auf einen Schlag.
»Großartig!«
Kara verbarg ihre Verblüffung, nahm den Parker zur Hand und schrieb in geschwungen Lettern auf das Papier: »Du bist meine beste Schülerin!«
Zitadelle, Hauptquartier des Herrscherhauses Naw
Moskau, Leningradski-Prospekt
Mittwoch, 27. September, 11:52 Uhr
Dieser Raum war eine Ausgeburt der Dunkelheit. Nicht jener Dunkelheit, die sich zaghaft einstellt, wenn die Sonne untergeht, und nur für ein paar lächerliche Stunden anhält. Sondern jener Dunkelheit, die an die Ewigkeit gemahnt, an das totale Nichts, an die archaische Finsternis völliger Leere. Die Dunkelheit, die in diesem Raum herrschte, resultierte nicht aus der Abwesenheit von Licht, sondern verkörperte eine eigenständige physikalische Größe, Materie, aus der dieser Raum selbst bestand und alles, was sich darin befand. Die Finsternis war seine Essenz.
In dem Raum befanden sich zwei Männer. Der eine trug einen langen schwarzen Mantel mit weit ins Gesicht gezogener Kapuze. Seine verschwommene Silhouette kauerte reglos auf einem schwarzen Stuhl mit hoher, gerader Lehne. Der andere, sein Gast, war ein großgewachsener, schwarzhaariger Schlaks, trug einen eleganten Anzug und lehnte lässig an der Kante eines massiven Tischs. Santiagos Erscheinen brachte stets einige Farbtupfer in das düstere Privatkabinett des Fürsten des Dunklen Hofs – und einen Hauch von Emotionalität.
»Die Situation, in die du hineingeraten bist, ist sicher eine böse Überraschung für dich«, grummelte der Fürst missmutig. Seine Stimme war rau und klang ein wenig röchelnd.
»Nicht unbedingt. Es war damit zu rechnen, dass der Tod Bogdan le Stas nur ein Bauernopfer war«, erwiderte Santiago schulterzuckend. »Unser unbekannter Gegenspieler verfolgt in Wahrheit ein anderes Ziel.«
»Und das wäre?«
»Keine Ahnung.«
Die schwarze Kapuze pendelte hin und her und schwieg. Damit gab der Fürst dem Kommissar zu verstehen, dass er mit seiner Antwort alles andere als zufrieden war. Nach dieser kurzen Pause der Missbilligung röchelte die Kapuze wieder.
»Wie beurteilst du die Situation?«
Santiago schlug zwanglos die Beine übereinander und lehnte sich ein wenig zurück.
»Der letzte Schachzug unseres Kontrahenten war zweifellos brillant gespielt. Der Tod von Bogdan le Sta, einem der ranghöchsten Kriegsmagier des Ordens, der noch dazu mit dem Kriegsmeister Franz de Geer eng befreundet war, hat das Herrscherhaus Tschud in Aufruhr versetzt. Die Ritter sind außer sich und ziemlich wütend auf
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