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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Hinterkopf wuchsen die Haare bereits wieder als schwarzer Flaum nach.
    »Da liegt er nun, dein Ritter«, stieß er hervor, während er das Schwert senkte. Tief in seinen Augen loderte die Glut. »Hättest du dir nicht denken können, dass es so endet, als du meinen Anruf gehört hast? Nun hör auf zu weinen und komm! Lucians Blut soll genügen, damit wir heute Abend vollenden, was vor Jahrhunderten begann.«
    Unerbittlich zog Beliar sie zurück in das Sitzungszimmer. Er ließ sie nicht los, bis sie in der Mitte des Kreises standen, der noch immer durch die Zauberdinge markiert wurde: eine Feder, eine Schale voll Glut, eine Meeresschnecke und Rauchquarz. Von dem Eislicht, das den Bannkreis hatte erstrahlen lassen, fehlte jede Spur. Ravenna schluchzte und versuchte gleichzeitig, ihr Entsetzen hinter den Händen zu ersticken. Sie wollte gegenüber Beliar keine Schwäche zeigen, aber sie konnte nur an Lucians totenblasses Gesicht denken und daran, dass er regungslos in der Eingangshalle lag.
    »Du weißt zu viel«, stellte Beliar fest. »Ich muss gestehen, ich hatte nicht erwartet, dass du so schnell begreifst. Offenbar haben die Hexen dir eine Menge beigebracht. Aber es ist noch nicht genug, um dich aus meiner Falle zu befreien, Ravenna. O ja, ich wusste, dass du kommen würdest. Du hast mich in dem Augenblick erkannt, als Melisende starb, nicht wahr? Seitdem habe ich auf deinen Besuch gewartet. Allerdings überrascht es mich, dass es dir gelang, deinen Ritter gesundzupflegen. Ich dachte, ich hätte Lucian einen Hieb versetzt, von dem er sich nicht mehr erholt.« Beliar zuckte die Achseln. »Wie dem auch sei. Jetzt ist er für immer verloren, denn er braucht dich und deine Gabe, um an Constantins Hof zurückzukehren. Beides steht ihm nicht länger zur Verfügung, denn du wirst mich zurück auf den Hœnkungsberg begleiten.«
    Mit diesen Worten nahm er den Briefbeschwerer vom Schreibtisch. Ravenna starrte auf den toten Skorpion, der sich auf dem Boden der Glaskugel krümmte. Sie begriff sofort, dass dieser Gegenstand ein Schlüssel war, der ein weiteres Zeittor öffnete.
    »Melisendes Erbin! Die Enkelin der großen Mémé!«, fuhr Beliar fort. »Eure Großmutter war eine Zauberin, natürlich war sie das. Und sie ahnte, dass auch du und Yvonne die Gabe habt. Deshalb legte sie einen Bannkreis um den Hof in Ottrott und besprach alle Dinge, mit denen ihr in Berührung kamt – sogar dein Pferd verhexte sie! Solange sie lebte, machte sie es mir unmöglich, an dich und deine Schwester heranzukommen.«
    »Mémé? Eine Magierin?« Ravenna keuchte. »Und was soll das heißen: Du wolltest an Yvonne und mich herankommen?«
    Beliar lächelte, während er den Kreis abschritt, den Ravenna gezogen hatte. Seine Robe wehte und der magische Bann wurde von neuem sichtbar, jedoch nicht als Eislicht. Beliars Macht glich schwerem, schwarzem Rauch.
    »Ich brauche jemanden mit deiner Gabe, um den Strom der Magie zu bezwingen«, erklärte er. »In der Mittsommernacht wirst du den Fluss in meine Richtung lenken, damit ich das Werk vollenden kann, an dem ich all die Jahrhunderte über gewirkt habe. Geduld ist eine Tugend, Ravenna. Ich musste lange ausharren und geduldig sein, doch nun wird sich bald enthüllen, wer ich bin: der größte Magier, den die Welt je gekannt hat. Der König der Hexer!«
    Beliar vollendete seine Runde um den Bannkreis. Dunkelheit schloss sie von allen Seiten ein, ein Vorhang, durch den Ravenna den Schreibtisch, die Stehlampen und das umgestürzte Regal bloß schemenhaft erahnen konnte. Das Atmen fiel ihr schwer.
    »Davon träumst du wohl«, stieß sie hervor. »Ich werde gar nichts tun. Und ich werde dir ganz bestimmt nicht helfen.«
    Ohne Nachzudenken führte sie den Abwehrzauber aus: Mit den Fingern formte sie eine Schale und dann ließ sie ihre Handballen vorschnellen. Zu ihrer Überraschung löste sich ein eisiger, weißer Strahl aus ihren Fingern und raste auf Beliar zu. Das Licht berührte den Dämon nicht einmal, doch als es aufglühte, wurde der Marquis auf die andere Seite des magischen Kreises geschleudert. Er prallte mit dem Rücken gegen die Wand. Die Glaskugel mit dem Skorpion kullerte über den Teppich, prallte gegen den Schreibtisch, gegen den Stuhl und rollte anschließend unter die Standuhr. Wieder ertönte ein splitterndes Geräusch. Einen Lidschlag lang blieben die Zeiger stehen, dann drehten sie sich wild im Kreis, der eine vorwärts und der andere zurück. Die Uhr schlug zehnmal, elfmal und dann

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