Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Der Ring erinnerte sie an die Halskette, welche die junge Hexe Lynette getragen hatte.
    »Nein«, erwiderte Viviale sanft. »Es ist das Amulett des Todes.«
    Hastig zog Ravenna die Hand zurück. Sie starrte auf den Schatz der alten Hexe und merkte, wie ihr Blick den Schlingen und Windungen folgte und wie sie immer stärker in den Bann des Siegels geriet. Mit einem Ruck riss sie sich von dem Anblick los.
    »Was soll ich damit? Meine Schwierigkeiten könnten kaum größer werden, als sie im Augenblick sind, und an den Tod mag ich nicht denken.«
    Viviale nickte. »Glaub mir, das geht allen so. Doch dabei vergessen die meisten, was uns der Tod lehrt, nämlich das Hier und Jetzt zu genießen. Präge dir mein Siegel genau ein, Ravenna, denn ich kann es dir nicht mit auf den Weg geben! Du bist nur im Traum hier. Du hast die Zwischenwelt der Tore betreten, wo Marvin dich fand. Zum Glück ist er gut darin, sich an eine Fährte zu heften und sei sie noch so geisterhaft. An der Esche hast du Morrigan um Führung gebeten. Folge meinem Zeichen, Ravenna! Wenn du es wiedersiehst, tritt ohne Zögern über die Schwelle.«
    Mit pochendem Herzen starrte Ravenna auf den Hexenschatz. Die Schlingen des Knotens flimmerten vor ihren Augen, als sie versuchte, sich die Anzahl der Windungen einzuprägen.
    »In Ordnung«, sagte sie schließlich, aber ihre Stimme klang kaum lauter als das Piepsen einer Maus. »Ich glaube, ich werde es wiedererkennen.«
    Viviale lächelte. »Wir werden auf euch warten. Aber ihr müsst euch beeilen, du und dein Gefährte, denn der Hexenbanner treibt uns immer weiter in die Enge. Wir harren hier aus, solange wir können, doch spätestens an Mittsommer müssen wir auf dem Hohen Belchen sein. Kommt nicht zu spät, Ravenna! Kommt nicht zu spät!«
    Mit einem Ruck fuhr Ravenna aus dem Schlaf. Die Lederfessel stoppte sie mit einem Ruck in der Bewegung und sie fiel unsanft auf die Liege zurück. Einige Minuten lang lag sie in der Dunkelheit und keuchte. Das Nachthemd unter dem Laken war durchgeschwitzt. Vor ihren Augen glomm der Hexenknoten, als habe er sich auf ihrer Netzhaut eingebrannt.
    Was war das?, fragte sie sich. War ich wirklich dort, wie Viviale behauptete? Oder habe ich zu viel von Beliars Betäubungsmittel im Blut? Die Aufregungen, die sie in den letzten Tagen durchgemacht hatte, genügten vollauf, um ihren Verstand zu zerrütten.
    Nach einigen Atemzügen beruhigte sie sich wieder. Zwei Dinge waren ihr im Gedächtnis haftengeblieben, die höchst widersprüchliche Gefühle auslösten.
    Erstens: Lucian war darin geschult worden, der Fuchs, das Korn und die Glut zu sein. Wenn er den Sturz durch die Glastreppe überlebt hatte, würde ihn so schnell niemand zu fassen bekommen. Dieser Gedanke tröstete sie, denn sie war sich sicher, dass Beliar dem jungen Ritter die Polizei auf den Hals gehetzt hatte, falls er aus der Villa entkommen war.
    Die zweite Überlegung löste nagende Ungewissheit aus. Lucian hatte sich schon einmal in ein Mädchen verliebt. Ihr Name war Maeve und ihretwegen hatte er alle Gegner des Turniers aus dem Sattel gehoben. Das war nicht irgendeine Jugendliebe, die Kleine musste eine angehende Magierin sein, eine Schülerin des Hexenkonvents, denn sonst hätte es kein Lanzenstechen gegeben. Ravenna hatte keine Ahnung, was aus ihr geworden war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, auf dem Odilienberg je einer Maeve begegnet zu sein. Fest stand nur: Lucian hatte ihr nie von der anderen Frau erzählt.
    Stattdessen hat er bloß eine Menge düsterer Andeutungen gemacht, dachte Ravenna. Sie erinnerte sich lebhaft daran, wie empfindlich ihr Geliebter reagierte, wenn die Rede auf seinen Vater kam. Lucian steckte voller Überraschungen, doch geschickt verbarg er die meisten Geheimnisse vor ihr. Das war äußerst dumm und in ihrer jetzigen Lage war es auch gefährlich, denn sie wusste nicht, womit Beliar ihren Ritter unter Druck setzen konnte, während sie hilflos dalag und dem König der Schwarzmagier ausgeliefert war. Natürlich hatte Lucian sein Leben gelebt, bevor sie sich trafen, und warum sollten darin keine anderen Frauen vorkommen? Ein Hexenkonvent war schließlich kein Kloster, das hatte sie längst begriffen. Doch warum hatte er ihr nie etwas von Maeve erzählt?
    Unruhig warf sie sich auf der Liege hin und her. Sie hätte sich gerne mit Lucian getroffen, seine Stimme gehört und ihm alle Fragen gestellt, die ihr durch den Kopf gingen. Das Problem war nur: Sie konnte nichts dergleichen tun. Sie

Weitere Kostenlose Bücher