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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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schließen Frieden oder zumindest einen Waffenstillstand, bis wir herausgefunden haben, wie Ravenna zu helfen ist. Glaub mir, ich möchte sie genauso gerne aus der Klinik holen wie du.«
    »Das glaube ich kaum. Schließlich habt Ihr sie erst in diese Lage gebracht«, entgegnete Lucian. Er verschränkte die Arme. Trotzig stand er da und schien doch zum Umfallen müde.
    »Na schön, ich kann ja wieder gehen!«, rief Yvonne. »Ich habe Ravenna jedenfalls davon abgeraten, in die Villa einzubrechen und auf eigene Faust nach dem Siegel zu suchen. Aber sie wollte nicht auf mich hören, denn sie hat dir vertraut.« Im Umdrehen begriffen, blieb sie noch einmal stehen. »Übrigens, dein Kettenhemd liegt bei mir im Kofferraum. Soll ich es vorbeibringen? Ich meine, kannst du hier irgendetwas mit deiner Rüstung anfangen?« Boshaft schwenkte sie die Hand über die Brücke, die Reste der Feuerstelle zu Lucians Füßen, das Entenpärchen und den Radweg oben auf dem Damm.
    Der Ritter schwieg. »Es ist kaputt«, sagte er dann. »Macht damit, was Ihr wollt.«
    Er wandte sich ab und starrte übers Wasser. Von hier aus sah Straßburg wie eine Postkartenidylle aus: geschwungene Brückenbögen, Fachwerkhäuser und der Münsterturm im Hintergrund. Wolken spiegelten sich auf dem Kanal.
    »Lucian.« Kopfschüttelnd ging Yvonne auf den jungen Mann zu. »Um Himmels Willen, lass uns Frieden schließen – Ravenna zuliebe. Wenn du hier vor die Hunde gehst, ist niemandem geholfen.«
    Er breitete die Arme aus und umfasste mit einer ausladenden Geste Stadt, Torbögen und den stillen Fluss. »Ich begreife Eure Welt nicht«, gestand er. »Nirgendwo sehe ich Schildwachen, gewappnete Krieger oder wenigstens eine durchgehende Mauer und dennoch wüsste ich nicht, wie ich Ravenna befreien soll. Die meisten Leute in Eurer Zeit geben sich gastfreundlich und hilfsbereit, aber wenn man um ein Stück Brot bittet, wollen sie Geld.«
    »Das ist der Fortschritt«, meinte Yvonne und zuckte mit den Achseln.
    »Ohne Ravennas Gabe werde ich nie wieder in meine Zeit zurückkehren«, klagte Lucian. Diesmal klang er wirklich verzweifelt. »Ich bin für immer hier gefangen.«
    Yvonne trat unter den Brückenbogen. Durch den Hall veränderten sich die Geräusche, das Plätschern klang unter dem Gewölbe doppelt so laut. Mit der Schuhspitze fegte sie die Brotreste ins Wasser. »Komm mit mir«, schlug sie vor. »Ich kenne einen Ort, an dem du sicher bist. Ravenna ist unschuldig und wir werden es beweisen. Dann muss man sie freilassen und …«
    Sie kam nicht dazu, weiterzusprechen, denn Lucians Schwert glitt aus der Scheide. Mit dem linken Arm drückte er sie gegen das Brückenfundament und legte die Klinge über Ellenbogen und Handgelenk. Die Schneide ruhte einen Zentimeter von ihrem Hals entfernt.
    »Mich täuscht Ihr nicht, Hexe!«, zischte er und seine Augen funkelten. Das Haar hing ihm wirr in die Augen und er roch wie ein Mann, der etliche Tage und Nächte in denselben Kleidern verbracht hatte. »Ich weiß, dass mit Eurem Dolch Blut vergossen wurde! Wir lernen, solche Dinge zu spüren. Sagt mir, was Ihr getan habt! Wozu habt Ihr den Dolch benutzt?«
    »Ich habe … Oriana … nicht getötet.«
    Plötzlich war es mit Yvonnes Selbstbeherrschung vorbei. Die Nachtfahrt auf dem Ausflugsboot, Damian, der sie auf Schritt und Tritt überwachte, die schwarz gekleideten Jünger Corbeaus und die dumme, kleine Teufelsanbeterin, die sich auf der Ladeluke räkelte – diese Bilder verfolgten sie bis in den Schlaf. An einem bestimmten Punkt verschwamm alles zu einem einzigen Alptraum, und dann wünschte sie, sie könnte die Zeit zurückdrehen und alles ungeschehen machen. Doch es war zu spät.
    Lucian schien zu spüren, was in ihr vor sich ging, denn er verstärkte den Druck. Zwischen seinem Schwertarm und dem Brückenpfeiler eingekeilt hielt er sie fest. »Ihr werdet mir jetzt antworten«, befahl er. »Eher lasse ich Euch nicht gehen. Dann soll meine letzte Aufgabe darin bestehen, die Welt von einer Schwarzmagierin zu befreien.« Der drohende Ton in der Stimme des Ritters und die Spannung in seinem Arm ließen keinen Zweifel daran, dass er seinen Worten Taten folgen lassen würde.
    »Du tust mir weh«, klagte Yvonne. Beklommen starrte sie auf die Schwertspitze. Eine Aura umhüllte den Stahl, ein Kraftfeld, unsichtbar für das menschliche Auge, doch stark genug, dass sie es fühlen konnte. Die Nähe der geweihten Waffe verhinderte, dass sie einen Gegenzauber wirken und sich aus

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