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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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hätte. Sie spürte, wie in ihr ein Zittern aufstieg, sie drohte ihre Beherrschung zu verlieren.
    »Doktor Corbeau sagt, es sei sehr wahrscheinlich, dass Sie sich nicht mehr erinnern, welche Taten Sie im Wahn begangen haben«, erklärte Gress. »Das bedeutet, dass Sie zum Zeitpunkt von Orianas Ermordung unzurechnungsfähig waren. Höchstwahrscheinlich wird man Sie nicht ins Gefängnis stecken, sondern hierbehalten. Es ist eine schreckliche Tragödie, ein unfassbares Unglück, aber ich bin sicher, über die Jahre hinweg wird Ihre Eltern der Gedanke trösten, dass Sie niemandem etwas antun wollten. Sie sind einfach eine sehr, sehr kranke Frau.«
    Als er den Hexendolch in die Tasche packte und aufstand, zerrte Ravenna voller Panik an den Gurten, die sie auf der Liege festhielten. Mit den Augen folgte sie Gress bis zur Tür. »Er ist der Teufel!«
    Die Hand auf dem Summer, drehte Gress sich noch einmal um. »Wie bitte?«
    »Doktor Corbeau. Oder Beliar, wie er sich auch nennt. Er benutzt Zeittore, um zwischen unserem und dem zwölften Jahrhundert hin und her zu springen. Er hat einen schweren Diebstahl begangen und bestimmt mehr als nur einen Mord. Er ist der Mann, an den Sie sich halten müssen. Ich bin unschuldig!«
    Gress zuckte zusammen. Seine blauen Augen, die für gewöhnlich streng dreinblickten, nahmen einen milderen Ausdruck an. »Alles wird gut, Ravenna. Ich werde Ihren Eltern persönlich mitteilen, dass Sie sich jetzt in staatlichem Gewahrsam befinden. Sie erinnern sich vielleicht: Ihr Vater und ich sind alte Anglerfreunde. Und nun ruhen Sie sich einfach aus.«
    Ihre Angst schlug in nackte Verzweiflung um. »Er ist der Teufel, glauben Sie mir! Er ist der Teufel! Corbeau ist der Herr der Ratten! Bitte lassen Sie mich nicht mit ihm allein!«
    Ein Summen ertönte. Die Tür öffnete sich und fiel ins Schloss, und dann war es still. Vollkommen still. So still, wie Ravenna es noch niemals erlebt hatte. Es war, als wären ihre Ohren mit Wachs verstopft und die Luft verdichtete sich um die schmale Pritsche, auf der sie lag.
    Da begriff sie, dass sie Beliars Bannkreis nie verlassen hatte. Zwei- oder dreimal schluchzte sie trocken. Dann lag sie still.
    Die Zeit verging quälend langsam. Nicht einmal das Ticken einer Uhr war zu vernehmen. Auf dieser Pritsche zu liegen, war das vollständige Gegenteil zu einem Zeittor, in dem die Jahre schneller als Gedankenblitze vorbeirasten. Es war, als stünden die Erde, die Sonne und alle Sterne still.
    Um den Verstand nicht zu verlieren, begann Ravenna irgendwann, die eigenen Herzschläge zu zählen. Als sie bei sechzig angelangt war, streckte sie den kleinen Finger aus und zählte von neuem. So vergingen zehn Minuten. Sie ballte die Fäuste und beschloss, dass der kleine Finger ab sofort für die vergangenen zehn Minuten stand. Als sie den sechsten Finger ausstreckte, wusste sie, dass sie seit mehr als einer Stunde auf der Pritsche lag. Sie zählte weiter, bis eine Stunde und vierzig Minuten vergangen waren. Dann nahm sie die Zehen hinzu. Zuletzt weinte sie, weil sie nach drei Stunden und zwanzig Minuten nichts mehr hatte, woran sie die verstrichene Zeit abzählen konnte.
    Sie lag im Dunkeln, eingesperrt mit ihren Gedanken. Beliar hatte sie und Lucian überlistet. Und nun hatte er sie in einem Verlies eingemauert, aus dem es kein Entkommen mehr gab. Er hatte sie lebendig begraben.
    Mit diesem Gedanken schlief sie ein.
    Die Träume zogen sie auf den Grund eines nebligen Strudels. Eine Weile überließ Ravenna sich dem Gefühl des Versinkens, doch dann änderten sich die Bilder und sie träumte, dass sie wieder über den Odilienberg wanderte und Heidelbeeren in einem Krug sammelte. Neveres Gefährte hockte auf der Heidenmauer und sah ihr zu. Marvin hatte ein Bein angewinkelt, die Arme auf das Knie abgestützt, und kaute auf einem Grashalm.
    »Na, was habe ich dir gesagt?«, rief er ihr zu, als sie an dem Stein vorüberkam. »Lucian und sein Edelmut … warum musste er den Marquis verschonen? Jetzt wärst du bestimmt froh, wenn Beliar beim Turnier nicht wieder aufgestanden wäre.«
    Im Traum kam Ravenna seine Stimme seltsam vor. Sie hatte einen scharfen, näselnden Klang und hallte, als käme sie von weither. »Das kann schon sein«, hörte sie sich antworten. »Aber es ändert jetzt auch nichts mehr. Wie geht es Ramon?«
    Marvin spuckte den Grashalm aus. »Er lebt. Aber es wird wohl noch lange dauern, ehe er wieder kauen und fluchen kann. Und die schönen Mädchen werden nur noch eine

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