Die Hexen - Roman
hatte, die das Leben im Hexenkonvent betraf. Ravenna gönnte es ihr von Herzen.
Sie seufzte und durchquerte den Innenhof. Am Haupteingang wartete das Mädchen mit dem dicken, blonden Zopf auf sie – Celine. Die Kleine führte sie eine Treppe hinauf und in einen Trakt des Konvents, den Ravenna noch nie betreten hatte. Vor einem unbeleuchteten Gang blieb sie stehen.
»Geht bis ans Ende, Herrin«, sagte Celine und knickste. »Dort findet Ihr Euer Gemach.«
Sie zeigte auf eine schwere, mit Eisen beschlagene Holztür. Dann drehte sie sich um und rannte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Langsam ging Ravenna durch den Gang. Als sie auf die Klinke drückte, öffnete sich die Tür nach innen. Beim Eintreten fiel ihr Blick als Erstes auf das Bett, das mitten im Zimmer stand. Keine Spur von Stroh und kratzenden Wolldecken: Die Schlafstätte war breit genug für zwei und mit weißer Seide bezogen. Rotgolden gestreifte Kissen mit Quasten und Kordeln stapelten sich am Kopfende, das Bettgestell bestand aus Rosenholz. Es gab einen großen Spiegel, neben dem eine Tür in den angrenzenden Waschraum führte, einen niedrigen, runden Tisch, der mit Speisen beladen war. Vor den Fenstern bildete der geflieste Boden einen Absatz.
Lucian stand dort, die Arme vor der Brust verschränkt. Er war barfuß und kehrte der Tür den Rücken zu. Das Kettenhemd bildete einen unordentlichen Haufen auf dem Boden. Obwohl er hören musste, wie sie eintrat, drehte er sich nicht um.
Umständlich befreite Ravenna sich von der schweren Rüstung. Dann stellte sie sich zu ihrem Liebsten auf den Absatz, schlang ihm die Arme um die Hüften und lehnte den Kopf an seinen Rücken. Sie gab sich derselben Aussicht hin, die auch er schweigend betrachtete: den Hexengarten, die Mauer, mit der die Aussichtsterrassen eingefasst waren, und dahinter die bewaldeten Hänge, Bergkuppen und den blassen Himmel.
Hin und wieder lief ein Zittern durch Lucians Körper . Er stand so still und aufrecht, dass Ravenna nicht einmal seine Atemzüge hörte. Lerne zu vergeben – sie hätte ihn gerne gefragt, was Malaury mit diesem Ausspruch meinte, doch sie fürchtete, erneut einen Gefühlsausbruch auszulösen, wenn sie die Worte wiederholte.
»Was ist das für ein Raum?«, flüsterte sie nach einer Weile.
Lucian schwieg. Sie schob die Finger unter das T-Shirt und presste die Handflächen erst auf seinen Bauch und dann gegen seine Brust. »Komm ins Bett«, raunte sie. »Du hast heute Nacht genauso wenig geschlafen wie ich.«
Wieder erzitterte er. Lucian atmete schwer aus und schloss die Augen. Als er sich nicht rührte, ließ Ravenna ihn seufzend los, stieg von dem Absatz herunter und entkleidete sich bis auf das dünne Hemdchen und den Slip. So schlüpfte sie ins Bett. Die Laken dufteten nach Lavendel und schmiegten sich seidenglatt an ihre Beine. Warum nicht gleich so?, dachte sie noch. Dann fielen ihr die Augen zu.
Irgendwann wurde sie davon wach, dass die Matratze auf einer Seite einsank. Das Licht hatte sich verändert. Lucian saß auf dem Bettrand und betrachtete sie. Der harte, verzweifelte Ausdruck war aus seinem Gesicht verschwunden, er sah müde aus.
»Das ist das Gemach der Maikönigin«, erklärte er und strich mit der flachen Hand über das Laken. »Wir hätten die erste Nacht hier verbringen sollen, anstatt nach Straßburg zu reiten, um uns in ein sinnloses Abenteuer zu stürzen.«
Ravenna stützte sich auf einen Ellenbogen. Das Haar fiel ihr über die Schultern und kitzelte sie im Nacken. »Sinnlos war es keineswegs«, widersprach sie und nickte zu dem Hexenring, der auf dem Tischchen lag. Melisendes Siegel. »Bereust du, was wir getan haben?«
Lucian seufzte und schüttelte den Kopf. Dann zog er sich das T-Shirt über den Kopf und streifte die Jeans ab. Nackt bis auf das Triskel kam er zu ihr unter die Decke.
Einige Minuten lang hielten sie einander nur in den Armen, während jeder auf den Atem des anderen lauschte. Diesmal fasste Ravenna den Entschluss und ließ die Hände langsam über seinen Rücken gleiten. Lucians Haut roch nach Salz und Kettenöl, und die Grube zwischen den Kissen war von der Wärme ihrer beiden Körper erfüllt. Als sie sich diesmal liebten, war es anders, heftiger, drängender, erfüllt von einem verzweifelten Verlangen, als geschehe es zum letzten Mal, dass sie beieinanderlagen.
»Was ist das? Was hast du da gemacht?«, fragte Ravenna nach einer Weile. Sie grub die Finger in das halblange Haar in Lucians Nacken und spielte mit
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