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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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und von der Sorge um krankes Vieh. Auch ihr Pferd wurde getätschelt, bis Willow nervös zu tänzeln begann.
    »Du meine Güte«, murmelte sie, sobald der stockende Zug wieder in Bewegung kam. »Hoffentlich wissen die Leute, dass ich nicht mehr für sie tun kann außer zu lächeln und zu winken.«
    »Bist du sicher?«, grinste Mavelle. Die Elfe ritt dicht hinter ihr und flüsterte ihr ab und zu die passenden Worte ins Ohr, wenn sie nicht weiterwusste.
    »Deine Hände«, keuchte Yvonne. »Hast du schon einmal deine Hände gesehen?«
    Ravenna senkte den Blick. Ein grüngoldener Lichtschein umhüllte jeden einzelnen Finger, ihre Ellenbogen, die Schultern, die Schienbeine und die Knie. Sie leuchtete nicht nur an den Händen, sondern am ganzen Körper.
    »Es ist das dritte Auge«, murmelte Yvonne. »Das Licht geht von dem Hexenmal aus. Wie es strahlt … so etwas habe ich noch nie erlebt.«
    »Ich wusste nicht … ich hatte wirklich keine Ahnung, dass es so ist«, stammelte Ravenna.
    Großzügig zuckte Yvonne die Achseln. »Es ist deine Nacht«, sagte sie. »Genieße sie, denn so ein Augenblick kommt so schnell nicht wieder.«
    Ravenna entspannte sich. Es stimmte, was ihre kleine Schwester sagte: Vermutlich war sie nur einmal im Leben Maikönigin. Sie atmete den Geruch der Pechfackeln und der gemähten Wiesen, sie hörte den Hufschlag der Pferde und das ausgelassene Singen der Menschen um sie herum und spürte den Sprühregen auf ihrem Gesicht. Sie war lebendig. Sie war hier, um das Wunder zu begreifen, das ihr widerfuhr, sobald sie das Zeittor durchschritt, und wenn sie in diesem Augenblick jemand gefragt hätte, wie sie sich fühlte, dann hätte sie geantwortet: Ich bin glücklich.
    »Segnet unsere Weinberge, Maikönigin!«, rief ihr ein Winzer zu. Sein Gesicht glänzte vom Regen und er schwankte, weil er schon ziemlich betrunken war. »Beste elsässische Rebe! Dann soll Euch, wie in jedem Jahr, ein Fass gehören.«
    Der Mann wankte auf den Weg und trat mitten zwischen die Pferde. Mit ausgestrecktem Arm fing Lucian ihn ab, ehe er Ravenna zu nahe kam. »Zwei Fässer, guter Mann«, erwiderte er trocken. »Für den jährlichen Feldsegen schuldet Ihr den Sieben zwei Fässer.«
    Der Winzer grinste. Dann hob er zwei Finger, was wohl so viel wie ein Einverständnis bedeutete.
    Ravenna blickte zu ihm zurück, als sie weiterritt und das grüngoldene Licht auf einem gewundenen Weg in die Weinberge trug. Der Winzer starrte dem Zug der Hexen lange nach.
    »Ihr macht das jedes Jahr?«, fragte sie Lucian. »Wie lange dauert dieser Umzug denn?« Langsam tat ihr der Arm weh, weil sie ständig winkte, und ihr Rücken schmerzte, weil sie sich ungewohnt gerade im Sattel hielt.
    Lucians Antwort klang niederschmetternd. »Drei Nächte«, sagte der junge Ritter. »Dann sind wir auf dem Hohen Belchen.«
    Er blickte sie noch immer nicht an. Sie musterte ihn verstohlen, während er stur neben ihr an der Spitze des Zuges ritt. Sein Gesicht und seine Gestalt lagen im Dunkeln. Jetzt wurde ihr klar, wie dumm ihr Streit gewesen war, und sie begriff, was Lucian ihr hatte sagen wollen: Er empfand alles, was sie in diesen Minuten spürte, ebenso intensiv. Das Flusstal, die Bergketten und der regnerische Himmel – alles war in den magischen Strom gebettet, es lebte und regte sich durch Magie. Im Vergleich dazu war ihre Eifersucht tatsächlich kleinlich und bitter wie ein Pflaumenkern.
    Sie lenkte Willow so dicht neben ihren Ritter, dass sich ihre Knie berührten. Er sah nicht auf, sondern blickte auf den Weg, der vor ihnen lag.
    »Lucian«, hauchte sie. »Es tut mir leid. Ich war eifersüchtig, und es war dumm von mir, dir das zu zeigen. Es ist nur so … ich mag dich eben wirklich.«
    Ein überraschtes Lächeln zeigte sich auf seinen Zügen. Dann seufzte er und schüttelte den Kopf. Schließlich streckte er wortlos die Hand nach ihr aus. Da flossen all die verwirrenden, widersprüchlichen Gefühle, die Ravenna bewegten, wie eine warme Welle zu ihm hinüber. Sie fasste seine Hand und der goldene Schein hüllte ihn ein. Der Schimmer umrandete die drei Spiralen auf Lucians Schild und leuchtete über ihnen, als sie Hand in Hand durch die Nacht ritten.
    »Es ist dein Licht«, flüsterte Ravenna. »Und es soll ausschließlich dir gehören.«

Wechselbalg

    Mit der Morgendämmerung kehrten die Menschen in ihre Häuser zurück. Das magische Licht, das das Maipaar umgab, verblasste, und als es über dem Flusstal hell wurde, verschwand es ganz. Die Hexen

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