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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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beherrschte. Ratten.
    »Wow.« Sie rümpfte die Nase. »Ich wette, dass keine von euch ein Auge zumachen wird.«
    »Wir kommen auch nicht zum Schlafen hier herauf.« Millies Stimme gewann an Schärfe und ihre Augen funkelten. »Sondern um Wache zu halten.«
    »Wache halten?« Yvonne merkte auf. »Und was bewacht ihr, wenn ich fragen darf?«
    »Dich und deine Schwester«, gab das kräftige Mädchen zurück. Ihre Schneidezähne erinnerten Yvonne an ein Pferd. Das Hexengewand war Millie zu kurz und der Mantel endete in den Kniekehlen. »Die Ritter am Tor halten Ausschau nach Feinden und wir sorgen im Haus dafür, dass der Fluch nicht wirksam wird, der auf dieser Wirtschaft lastet. Da du aber nicht zu uns gehörst, solltest du den Schlafsaal schleunigst wieder verlassen.«
    Misslaunig machte Yvonne kehrt. Es gefiel ihr nicht, dass die Hexen sie wie eine Aussätzige behandelten, aber sie konnte nichts dagegen tun, solange die Sieben ihren guten Ruf nicht wiederherstellten. Wenn sie an die übermüdeten Mädchen und die verdreckte Umgebung dachte, erschien es ihr plötzlich nicht mehr so erstrebenswert, in den Konvent aufgenommen zu werden. Sieben Jahre lang plagten sich die jungen Frauen mit allen möglichen Aufgaben und Prüfungen, um am Ende mit ein paar guten Worten und einem warmen Händedruck entlassen zu werden. Nur in den seltensten Fällen wurde eine junge Hexe zu einer der auserwählten Sieben – ein Ziel, das dennoch alle Anwärterinnen verfolgten.
    Es hat also doch Vorteile, eine moderne Hexe zu sein, dachte Yvonne, während sie in das Erdgeschoss zurückkehrte. Sie betrat den Gastraum. Dort roch es nach Holzfeuer, nassem Hundefell und Schweinefett, nach Schmierseife, Hafergrütze und saurem Bier. Der Raum war überheizt, doch er bildete einen angenehmen Kontrast zu dem Schlafsaal. Am Rauchabzug über der Feuerstelle hingen Kupfertöpfe, Pfannen, Kuchenformen aus Keramik und etwas, das aussah wie die Hirnschale eines Rehs. Der Hund lag auf dem Boden vor der Theke und nagte an einer Speckschwarte. Noch immer im Nachtgewand stand der Wirt hinter dem Tresen und füllte Tonkrüge. Die Narbe auf seinem Kopf sah wie eine Schweißnaht aus.
    Yvonnes Aufmerksamkeit wurde jedoch von der Tochter des Wirts gefangengenommen. Das Mädchen war groß gewachsen, schmal und dünn, mit einem Lächeln wie Draht und stahlblauen Augen. Ihre Finger zitterten so sehr, dass sie Wein und Bier verschüttete, wenn sie die Becher auf den Tischen absetzte, und ihre Nägel waren bis aufs Blut abgekaut. Am auffälligsten war jedoch das Feuermal auf ihrer Stirn: Es erinnerte an eine schlanke, dunkelrote Flamme.
    »Starr sie nicht an!« Yvonne schrak zusammen, als Norani plötzlich hinter ihr stand. Sie hatte die schwarzhaarige Dämonenbannerin nicht kommen hören. »Ich wette zehn zu eins, dass die Schankmaid der Grund für den Spuk in diesem Haus ist.«
    »Diese Kleine?« Abschätzig musterte Yvonne das Mädchen, das nun die Theke abwischte. Ab und zu warf die Wirtstochter den Gästen hasserfüllte Blicke zu, ihre Lippen bewegten sich ohne Unterlass. An ihrem Kopftuch und dem Vorderteil ihrer Bluse waren Blechmünzen angenäht, die im Licht blitzten. Als sie einer der Ritter ansprach, gab sie keine Antwort, sie drehte ihm einfach die Schulter zu.
    »Sie besitzt eine wilde Gabe, genau wie du«, fuhr Norani fort. »Ein magisches Talent, das unterdrückt und nicht ausgebildet wurde. Siehst du, wie sie zittert, wenn sie sich den Tischen nähert? Sie schafft es kaum, die Beherrschung zu wahren.«
    »Meine Gabe ist nicht …« unterdrückt, wollte Yvonne sagen, doch da streifte die Schankmaid die Kante des Tisches, an dem Constantin und die Sieben saßen. Die Kerzenflamme wurde lang und schmal wie ein Geist. Sie verlor jede Farbe und verging in bläulichem Zucken, während sich der Kerzenstummel in einen Wachssee verwandelte. Der Umriss der Flamme blieb jedoch erhalten und wuchs weiter, bis ein blutroter, zerfetzter Schatten über dem Tisch der Hexen schwebte.
    Der Wind heulte durch den Kamin. Der Wirt stöhnte und Yvonnes Herz begann zu rasen. Sie wich zurück, als der Schatten um die eigene Achse wirbelte, denn sie erkannte, dass die wurmartigen Schlingen, die sie für Tentakel gehalten hatte, in Wirklichkeit blutverklebte Haare waren. Blut triefte auch aus dem Halsstumpf des geisterhaften Kopfs, der mit einem Schwertstreich oder einer Axt abgetrennt worden war. Die Brust der Wirtstochter hob und senkte sich, ihre Hände griffen in die Luft und

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