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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Sitzung hielt auf dem ganzen Weg nach Hause an.

Das Erbe

    Eine halbe Stunde später saßen Ravenna und ihre Schwester beim Abendessen. Es gab grüne Bohnen, Quiche und Salat – und einen guten Grund, weshalb Yvonne so aufwendig gekocht hatte. Er hatte Sommersprossen und saß schweigend zwischen beiden Schwestern, in den Anblick von Yvonnes schaukelnden Ohrringen versunken.
    »Was hat Corbeau dir vorgeschlagen? Eine Hypnose?« In gespieltem Entsetzen riss Yvonne die Augen auf. »Das darfst du auf keinen Fall zulassen! Hast du eine Vorstellung, was während einer solchen Trance passieren kann? Alle deine früheren Leben könnten zum Vorschein kommen. Dann weißt du wieder, wer du früher gewesen bist: eine Kurtisane zum Beispiel! Eine Freischärlerin, die von Soldaten erschossen wurde. Eine Nonne! Oder eine Priesterin auf einer einsamen Insel. Und du wirst auch wissen, wie dein jeweiliges Ende aussah!«
    »Du hast echt eine blühende Fantasie«, murmelte Ravenna, während sie sich ein weiteres Stück von der Quiche abschnitt. Der Duft des frisch gebackenen Speckkuchens erfüllte die Küche und in der gewohnten Umgebung fühlte sie sich langsam wieder sicher. Die Eindrücke von einer frostigen Kuppel, deren Wände mit toten Insekten übersät waren, die wie Eisdiamanten glitzerten, verblassten.
    »Ich habe eine Freundin, die hat mal eine Rückführung gemacht«, fuhr Yvonne unbekümmert fort. »Eine Reise in ihre Vergangenheit vor ihrem jetzigen Leben. Weißt du, was sie als Erstes gesehen hat? Da war ein Boot, so eine Barke mit schwarzen Vorhängen …«
    »Yvy – es reicht!« Das Zauberwort tat auch diesmal seine Wirkung. Ihre Schwester verstummte. Beleidigt schob sie ein Stückchen knusprigen Kuchenrand auf ihrem Teller herum. Dann bückte sie sich und legte den Happen vor Merle auf den Boden. Sofort machte sich die schwarze Katze über die Leckerei her. Ihre Jungen balgten sich unter dem Küchentisch.
    Yvonnes neuer Verehrer saß auf dem Stuhl vor dem Fenster, ein Wuschelkopf mit verträumtem Blick. In dem zerknitterten Hemd sah er aus, als wäre er gerade aufgestanden, doch Ravenna vermutete, dass dies sein alltägliches Erscheinungsbild war. Er musste den Hals recken, wenn er Yvonne über den dicken Strauß Wiesenblumen hinweg sehen wollte, der mitten auf dem Tisch stand. Mathis hatte den ganzen Abend über noch nichts gesagt. Oder war sein Name Maxime? Na egal, dachte Ravenna. Yvonnes neuste Flamme hockte vor dem unberührten Teller und wartete ganz offensichtlich darauf, dass sie das Abendessen beendeten und sich die Tür zum Schlafzimmer hinter ihnen schloss.
    Verärgert nahm Ravenna sich vor, ihrer Schwester die Meinung zu sagen, sobald Mathis – oder Mathieu – am nächsten Morgen das Feld geräumt hatte. Schließlich war es noch immer ihre Wohnung.
    »Noch ein Schluck Wein?« Großzügig goss Yvonne ihrer Eroberung das Glas voll. »Um solche Hypnosen anzubieten, braucht man eine ganz bestimmte Ausbildung und ich bezweifle, dass dein Doktor Corbeau da Erfahrung hat. Schließlich ist er bloß Psychotherapeut. Meine Freundin jedenfalls war bei einer Frau, die sich auf Rückführungen von Schamanenseelen spezialisiert hat. Ein bisschen gruselig war es schon, hat sie gesagt. Aber … au! «
    Wütend funkelte Yvonne ihre Schwester an. Der Tritt ans Schienbein war nicht gerade zimperlich gewesen. »Ins Badezimmer«, sagte Ravenna nur.
    Nachdem sie beide im Bad waren, knallte Yvonne die Tür hinter sich zu. »Sag mal, spinnst du? Was soll das? Weshalb trittst du mich unter dem Tisch oder fällst mir ins Wort, wenn ich Mathis etwas erzählen will?«
    »Wie kommst du dazu, meine Lebensgeschichte vor einem Typen auszubreiten, den ich heute Abend zum ersten Mal sehe?«, schnaubte Ravenna. »Und überhaupt hättest du mich vorher fragen können, ob mir Besuch recht ist!«
    »Ach, tatsächlich?« Yvonne stemmte die Fäuste in die Hüfte. Sie trug ein geblümtes Oberteil mit einem wellenförmig eingefassten Ausschnitt. Ein rotes Band hielt ihr das Haar aus dem Gesicht. »Soll ich demnächst auch um Erlaubnis fragen, wenn ich Kaffee kochen oder die Blumen gießen will? Was ist eigentlich los mit dir? Erst wirfst du meine Freundinnen aus dem Haus und jetzt willst du mir auch noch vorschreiben, mit wem ich meine Abende verbringe! Ich werde dir zeigen, wie …«
    Rasch hob Ravenna die Hand. »Pass auf, was du sagst, Yvonne. Du weißt, wie das manchmal endet. Marienkäfer sind ja recht niedlich, aber weißt du noch, wie

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