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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Sandstein, aus dem Felsen gemeißelt. Darauf befanden sich mehrere Gegenstände: ein Kelch, um dessen Fuß sich ein Drache wand, ein Hexendolch mit dreieckiger Klinge, ein Stab aus Elfenbein und ein in Gold gefasster Kristall.
    »Yvy.«
    Ravennas Flüstern hallte so laut durch die Grotte, dass sie selbst erschrak. Ihre Schwester hob den Kopf. Yvonnes Augen waren ausdrucksvoll geschminkt und ihre Lippen glänzten im selben Rubinrot wie das Kleid. Als Ravenna einen weiteren Schritt vortrat, drehte sie sich mit einer einzigen, fließenden Bewegung um. Die Seide fegte über den Glasboden.
    »Weißt du, wie lange ich auf diesen Augenblick gewartet habe?« Yvonne schien nicht einmal überrascht, dass Ravenna plötzlich in der Grotte stand. »Beliar hat mir angeboten, mich in seinen Zirkel einzuweihen. Er will mich in seinen Geheimbund aufnehmen und fragte mich, ob ich an seiner Seite die Magierin der Mittsommernacht sein will. Er bat mich, hier zu verweilen und mir darüber klarzuwerden, ob ich sein Angebot annehmen will.« Ihre Hand zitterte, als sie über die magischen Gegenstände auf dem Altar strich, ohne sie zu berühren. »Ob ich das wirklich will!«, wiederholte sie und lachte tonlos. »Ich habe jahrelang von nichts anderem geträumt!«
    Nervös leckte sich Ravenna über die Lippen. »Er hat dich belogen. Beliar hat nicht das Recht, dir so etwas vorzuschlagen. Er macht dich nicht zur Königin des Sommers, sondern zu seiner Sklavin. Hast du je von den vier Fürsten gehört? Sie …«
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein!« In einem Traum aus raschelnder roter Seide kam Yvonne auf sie zugerauscht. Ihre Augen blitzten zornig. »Gönnst du mir diese Einladung etwa auch nicht? Die kürzeste Nacht des Jahres, ein Fest unter offenem Sternenhimmel, bei dem die Burgherren des Elsass zusammenkommen – willst du mir das wirklich verderben?«
    Ravenna hütete sich, auf die Glasplatte zu treten, über die Yvonne so sorglos schwebte. Unter der Scheibe lag ein tiefer Schacht, der Grund war nicht zu sehen, doch sie sah ihr eigenes Spiegelbild, verzerrt und in die Länge gezogen. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie zu ihren alten Rollen zurückgekehrt waren: Sie trug derbe Reisekleider, die Stiefel waren mit Schlamm verkrustet und sie hielt ein Schwert in der Hand, während Yvonne vom Kopf bis zu den Zehenspitzen in funkelnder Eleganz erstrahlte.
    »Was wird das wohl für ein Fest geben, Yvonne? So eines wie an jenem Abend, als du Merle geopfert hast? Oder mehr wie dieser satanistische Kult auf dem Boot, der Oriana das Leben kostete?«
    »Ich habe sie nicht getötet«, fauchte Yvonne. »Ich habe ihr einen Gefallen getan.«
    Ravenna lief ein Schauer über den Rücken, als sie dieses Geständnis hörte. »Einen Gefallen«, wiederholte sie. »Du hast sie umgehend in die Hölle gebracht.«
    »Das ist doch lächerlich.«
    »Nein, Yvonne. Das ist Mord. Du hast zugelassen, dass Beliar deine Hand führt, um ihr die Kehle durchzuschneiden. So steht es in deinem Tagebuch.«
    Die Schwertspitze zeigte zu Boden. Yvonne starrte sie an. »Du beschuldigst mich? Im Ernst? Du beschuldigst mich nach allem, was ich für dich getan habe? Wie kommst du überhaupt hier herein? Weißt du denn nicht, dass ein lauter Schrei von mir genügt, um ein Dutzend Wachen herbeizurufen?«
    Das Blut pochte in Ravennas Schläfen. »Du würdest mich also tatsächlich ein weiteres Mal verraten, so wie an jenem Abend, als Lucian und ich in die Villa eingedrungen sind. Du hast Gress gesagt, wohin wir wollten, nicht wahr? Deshalb hat die Polizei uns dort so schnell gefunden. Was ist nur aus uns beiden geworden, Yvonne?«
    Ihre Schwester legte den Kopf schräg. »Ich dachte, unser rasches Eingreifen hätte dir das Leben gerettet. Wir sind uns so ähnlich, Raven. Manchmal glaube ich sogar, dass wir uns zu ähnlich sind. Hast du gewusst, dass das Feuer unser Element ist?« Ihre Finger streckten sich nach dem Stab aus Elfenbein, doch sie nahm ihn nicht in die Hand. »Es ist nicht gut, wenn zwei Hexen mit derselben Gabe zusammentreffen. Und wenn sie gar aus einer Familie stammen, ist es noch schlimmer. So war es auch zwischen Beliar und Morrigan. Wusstest du, dass sie miteinander verwandt sind?« Sie lachte. »Du kennst doch die Geschichte von dem Zauberer, der von seiner Geliebten unter einen Weißdornbusch verbannt wurde. In Beliars Fall war es der Baum der Nacht. Er könnte immer noch dort angekettet sein, doch Elinors Ruf hat ihn befreit.«
    »Lass mich raten: Chrétien de

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