Die Hexen - Roman
doch Velasco packte sie am Arm. »Was ist das für ein Duft?«, fragte er. Die Frau duckte sich erschrocken. Der Schmuck, den sie auf einem Kissen vor sich hergetragen hatte, rollte hin und her und fiel schließlich zu Boden.
»Die Marquise bereitet sich auf die Zeremonie vor, Herr«, keuchte sie. Sie krümmte sich, offenbar tat Velasco ihr weh. »Sie nimmt ein Bad und anschließend soll ich ihr die Haare frisieren.«
Velascos Oberlippe schob sich über die Zähne. Es sollte wohl ein Grinsen sein, doch die Zofe wimmerte erschrocken. Für einen Mann, den Constantin hatte köpfen und an den Füßen aufhängen lassen, sah der Burgherr aus dem Tal des Schreckens überraschend gesund aus. »Bring ihr einen Becher Wein und erfülle ihr jeden Wunsch, den sie äußert. Elinor soll gute Laune haben, wenn sie sich später zu uns gesellt.«
Ravenna biss sich auf die Lippe. Hatte die Marquise sie belogen? War ihr überhaupt daran gelegen, Beliar aufzuhalten – oder spielte sie mit jedem, der ihr über den Weg lief? Bevor Ravenna den Gedanken weiterverfolgen konnte, sprach Velasco weiter.
»Wo steckt eigentlich unser junger Gast – Yvonne von Ottrott?«
Die Zofe starrte den Hexer an. Ravenna fiel ein, was Lucian über seinen Vater gesagt hatte: Alle lebten in Angst vor ihm. Es war seltsam: Während Beliar verbindlich und manchmal sogar recht unterhaltsam sein konnte, wirkte Velasco beängstigend auf seine Umgebung.
»Wo ist sie?«, zischte der Burgherr, als die Zofe nicht gleich antwortete. In der Umklammerung des schwarzen Handschuhs schien der Arm der Frau jeden Augenblick zu brechen.
»Sie ist in der Grotte.«
Mit einem Ruck stieß Velasco die Zofe von sich. Sie taumelte gegen die Wand.
»Dann sorg dafür, dass sie dort bleibt!«, befahl er nur. Dann stapfte er davon.
Ravenna wartete, bis sich die Zofe wieder gefangen hatte. Hastig und mit einer unterdrückten Verwünschung sammelte die Frau die Ringe und Perlen auf, die über den ganzen Boden verstreut waren. Dann nahm sie wieder ihre kerzengerade, würdevolle Haltung ein und schritt in Richtung Badestube davon.
Erst jetzt merkte Ravenna, dass sie die ganze Zeit über den Atem angehalten hatte. Yvonne konnte sich offenbar frei in der Burg bewegen – das war eine gute Nachricht. Ravenna vermutete, dass die Grotte unter dem Burgfried lag, denn an jener Stelle war der Felsen am breitesten. Nun musste sie nur noch vor der Zofe dort eintreffen.
Sie schlüpfte wieder in den Gang und huschte am Ehrensaal vorbei, nicht ohne überrascht festzustellen, wie viele Gäste an Beliars Festmahl teilnahmen. Fast alle Plätze an der langen Tafel waren besetzt. In den Fensternischen und an der Wand hingen prachtvolle Banner. Sie waren an den Schäften von Lanzen befestigt, die an Halterungen in der Wand steckten. Unter den Abzeichen standen Leute in Grüppchen beisammen, in rege Gespräche vertieft. Offenbar hatte das Bankett noch nicht angefangen, der Tisch bog sich unter der Last der Speisen. Niemand bemerkte die schattenhafte Gestalt im Gang, nicht einmal der Marquis selbst, der mit einigen Ehrengästen neben dem roten Thron stand.
Ravenna betrat die Wendeltreppe und zog die Tür sorgfältig hinter sich zu. Ihre Gedanken rasten. Eine Spirale aus flachen Stufen schraubte sich durch den Felsen. Es duftete nicht mehr nach dem ritterlichen Festmahl, sondern nach Stein und Kerzenwachs. Sie eilte die Stufen hinab und folgte einem langen Gang, der von Fackeln beleuchtet war. Zweimal musste sie abzweigen – dann lag die Grotte vor ihr. Es war ein runder Kuppelsaal, in den Felsen geschlagen. Der Boden bestand aus flaschengrünem Glas. Lichtreflexe spiegelten sich in der Scheibe. Entlang der Wände, auf jedem Vorsprung und an den zu Spiralen verdrehten Säulen flackerten Kerzen. Es mussten Hunderte sein. Der Geruch von Bienenwachs war betäubend.
Ravennas Magen krampfte sich zusammen, weil sie der Wachsgeruch an das Ritual in der Klinik erinnerte. Sie trat unter den gewölbten Durchgang, ohne die Glasplatte zu berühren.
Vor der Nische am anderen Ende des Raums stand eine schlanke Gestalt. Ravenna hätte ihre Schwester fast nicht wiedererkannt, denn Yvonne trug ein langes Kleid aus blutroter Seide. Es war ihr wie auf den Leib geschneidert und betonte mehr, als es verhüllte. Das blonde Haar war hochgesteckt, sie trug Ohrringe aus winzigen Granatsteinen und ihre Schultern glänzten wie Marmor. Aufmerksam studierte sie den Altar, der in der Nische stand. Es war ein Tisch aus
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