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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Troyes«, murmelte Ravenna. »Der Barde von elfhundertnochwas.«
    Yvonne lachte wieder. Mit einem Satz stemmte sie sich auf den Rand des Altars, rutschte ein Stück zurück und legte den Elfenbeinstab quer auf ihren Schoß. Ihre Augen leuchteten und auf ihren Wangen lag ein erregter Schimmer.
    Der Marquis hat sie hypnotisiert, dachte Ravenna. Er hat sie in ein Labyrinth aus prunkvollen Spiegeln geführt und jetzt findet sie den Weg nicht mehr zurück.
    »Willst du Lucian wirklich opfern – für das hier?«, fragte sie leise. Mit einem Kreischen fuhr die Schwertspitze über die Glasplatte und hinterließ einen tiefen Kratzer. »Er wird heute bei Sonnenuntergang sterben, wenn wir nichts dagegen unternehmen.«
    Yvonne schloss die Finger fest um das Elfenbein. »Lucian ist ein Dickschädel. Velasco hat ihm alles angeboten, was man sich wünschen kann: Macht, Einfluss, Gold und sogar eine eigene Burg. Aber er hat immer nur abgelehnt und steif und fest darauf beharrt, dass er nur einer Herrin dient, nämlich dir.«
    Ravenna schluckte. Ihre Angst wurde so stark, dass es sie schon körperlich schmerzte. »Wo ist er, Yvonne?«, flehte sie ihre Schwester an. »Bitte sag mir, wo sie ihn gefangen halten! Wenn dir das hier alles so wichtig ist, dann … von mir aus: Bleib hier und feiere die Mittsommernacht mit Beliar und seinen Freunden. Ich komme dir nicht in die Quere. Lucian und ich verlassen den Hœnkungsberg, sobald ich weiß, wo er steckt.«
    Sie log, denn sie dachte nicht im Traum daran, Yvonne in dieser Festung zurückzulassen. Dabei wusste sie ganz genau, dass ihre Schwester sie immer durchschaut hatte.
    Yvonne hörte auf, mit dem Hexenstab zu spielen. Ausdruckslos blickte sie Ravenna an. »Hast du in meinem Tagebuch auch gelesen, was Oriana zu mir sagte? Ich sei eine gefangene Seele. Weißt du, ich glaube, bei Lucian ist das auch der Fall. Er hasst seinen Vater und dieser Hass hält ihn davon ab, seine Kräfte zu entfalten. Dabei hat er wirklich Talent. Er könnte selbst ein Magier sein, ein Druide, aber er muss ja unbedingt den Ritter spielen, der das zauberische Wirken den Hexen überlässt.«
    Ravenna stutzte. Lucian besaß eine Gabe? Das war ihr noch nie aufgefallen. Doch sie hatte sich auch noch nie gefragt, weshalb sich die Ritter meist im Hintergrund hielten. »Weißt du überhaupt, wer dieser Velasco ist?«, fragte sie. »Wusstest du, dass er derjenige war, der Maeve umbrachte und dass er …
    »Vorsicht, Ravenna«, warnte Yvonne. »Pass lieber auf, was du sagst. Es könnte den Marquis zornig machen.« Mit einem federleichten Satz sprang sie von dem Altar herunter und deutete mit dem Stab an die Decke.
    Ravenna hob den Kopf. Die Kuppel der Grotte war mit Mosaiksteinen verkleidet. In der Mitte saß ein Spiegel. Sie hätte ihr ungläubiges Gesicht sehen müssen, wie es sich spiegelte, doch stattdessen blickte sie in ein faustgroßes Auge. Dunkel wie Rauchkristall lag es in einer mit Wasser gefüllten Silberschale, irgendwo in einem anderen Raum dieser Burg.
    Erschrocken prallte sie zurück. Marvins Warnung fiel ihr ein, doch es war zu spät. Beliar hatte sie längst entdeckt und seine Schergen waren vermutlich auf dem Weg hierher.
    Sie wirbelte herum und rannte durch den Gang zu der Wendeltreppe, die sie zur Grotte geführt hatte. Sie war schon im tiefsten Stockwerk der Burg angelangt, von hier aus ging es nur nach oben. Über ihrem Kopf schlug eine Tür, und als sie aufblickte, sah sie Velasco wie einen wütenden Stier abwärts stürmen. In der Faust trug er ein blankes Schwert, und seine Nasenflügel bebten.
    Sie prallte zurück. Sie war dem Hexer von Carcassonne nicht gewachsen, das wusste sie seit jener Nacht im dunklen Hausflur, als er sie vor ihrer eigenen Haustür überrumpelt hatte. Sie schaffte es gerade noch, in den Gang zurückzuweichen und zur Grotte zu rennen, bevor Velasco sie einholte.
    »Bleib stehen!«, brüllte er und das tat sie, die Klinge mit beiden Händen über den Kopf schwingend, um den vernichtenden Schlag des Gegners abzufangen. Obwohl Velasco unter dem Felsgewölbe nicht voll ausholen konnte, warf sie die Wucht seines Hiebs rückwärts gegen die Wand. Ihre Ellenbogen und Handgelenke fühlten sich an, als wären sie gesplittert. Ravenna schluchzte vor Schmerz, und als der Hexer zum zweiten und letzten Schlag ausholte, rollte sie herum und floh zurück in die Grotte.
    »Yvonne!«, brüllte sie. »Yvonne, hilf mir! Wegen Mémé und weil wir Schwestern sind – ich flehe dich an!«
    Dann

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