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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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verstehen?«
    Ravenna nahm allen Mut zusammen. »Ich weiß, was du vorhast. Du willst dich von der Burgmauer stürzen und Beliar dadurch der magischen Macht berauben, über die du verfügst. Aber dadurch wird alles erst richtig schlimm. Das hat er mir selbst gesagt.«
    Sie wich zurück, als sie den Gesichtsausdruck sah, mit dem Elinor auf sie zukam – eine Furie aus dem dreizehnten Jahrhundert. »Du schamloses Miststück! Hast du etwa meine Zukunft gelesen? Wie kannst du es wagen, in meiner Kemenate zu sitzen und mich auszuspionieren? Dafür sollst du …«
    »Nein!« Fast schrie Ravenna dieses Wort. Sie ließ ihre linke Hand in die Höhe schnellen und binnen eines Sekundenbruchteils flammte ein Schild aus Regenbogenfeuer auf. Elinors Fluch zersplitterte wie ein Bündel schwarzer Blitze. Ein elektrischer Schmerz durchzuckte Ravennas Arm und lähmte ihn fast bis zur Schulter.
    Es war ihr beider Glück, dass Beliars Zuhörer in diesem Augenblick applaudierten und in Hochrufe ausbrachen. Keuchend und in Lauerstellung verharrten die beiden Frauen zwischen den Büschen, während Beliar eine schlanke, schwarzhaarige Adlige beglückwünschte. Mit beiden Händen überreichte er der Geehrten die Hexenklinge, die auf dem Altar gelegen hatte. Die Fürstin der Luft trug einen Umhang aus Rabenfedern und war düster geschminkt. Ein umgedrehtes Henkelkreuz hob und senkte sich auf ihrer Brust. Ravenna biss sich auf die Lippe, als sie begriff, dass die Marquise in diesem Punkt die Wahrheit gesagt hatte: Nicht Elinor, sondern die untote Satanistin ergänzte Beliars Runde. Oriana. Das Blatt am Baum der Nacht.
    »Ich sagte: Du darfst nicht von der Mauer springen«, wiederholte sie mit mühsam unterdrückter Wut. Krampfhaft massierte sie die tauben Finger, doch das Gefühl in der Hand kehrte nicht wieder. »Ganz egal, was Beliar vorhat: Wenn dir etwas passiert, wird es nur noch schlimmer.«
    Elinors Augen weiteten sich. Todessehnsucht glänzte in diesem Blick, gepaart mit grenzenlosem Erstaunen. »Ich verstehe nicht«, stieß die Hexe vom Hœnkungsberg hervor. »Der Marquis ist der Überzeugung, dass er mich und meine magischen Künste dringend braucht. Doch ich bin kein Maultier, das man vor den Karren spannt!«
    »Nein!« Ravenna schüttelte den linken Arm aus und schnitt eine Grimasse. Mit jeder Minute, in der sie Elinor zu überzeugen versuchte, verschwendete sie kostbare Zeit. Lucians Zeit. »Dein Tod gibt ihm die mächtigste Waffe in die Hand, die er sich wünschen kann: das Blut einer Hexe. Durch deinen Sprung vernichtest du die Sieben.«
    In der Sekunde, in der ihr die letzten Silben über die Lippen kamen, begriff sie, welchen unverzeihlichen Fehler sie begangen hatte. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, denn ihr war klar, dass sie soeben ihre Freundinnen vom Odilienberg verraten hatte. Die Sieben zu vernichten und den magischen Zirkel in alle Winde zu zerstreuen – war das nicht der Racheschwur gewesen, mit dem Elinor den Konvent einst verlassen hatte? Doch gesagte Worte ließen sich nicht mehr zurücknehmen.
    Wie eine knöcherne Klaue gruben sich Elinors Finger in ihren Arm. Das Gesicht der Marquise war wachsweiß und ihre Lippen bebten. Sie schaute Ravenna durchdringend an, dann drückte sie ihr ein zugeschnürtes Säckchen in die Hand. Es fühlte sich schlaff und weich an, wie eine tote Maus. »Wenn du die Drehleier hörst, dann geh und rette deine Schwester. Aber es muss schnell geschehen, sonst bekommt Beliar euch beide in die Hand. Und dann wirst du dir wünschen, du wärst in der Zukunft geblieben. Und jetzt gib Acht! Esvanier!«
    Das letzte Wort hauchte sie nur. Eine Bö fegte durch den Garten und wirbelte Ravenna das Haar in die Augen. Ein Rascheln der mitternachtsblauen Gewänder – und die Marquise war verschwunden.
    »Verdammt.« Ravenna schüttelte die Locken zurück. Hastig stopfte sie das Säckchen in ihre Tasche und zwängte sich durch das Gebüsch. Von der schwarzen Hexe fehlte jede Spur. Die Nacht hatte Elinor aufgesogen wie einen Tintentropfen. Stattdessen bemerkte Ravenna den misstrauischen Blick, den Beliar in ihre Richtung warf. Er drehte sich zu Velasco um und gab dem Hexer ein Zeichen. Lucians Vater zog das Schwert. Er kam genau auf Ravenna zu. Hinter ihm entdeckte sie Yvonne, die ungeduldig auf und ab schritt und den Fortgang der Zeremonie kaum abwarten konnte. Beliars Vasallen hatten sich um eine Steinplatte versammelt, in die ein Pentagramm gemeißelt war. Fackeln steckten rings um den Felsen im

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