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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Griff der Drachenklinge ragte über der linken Schulter auf.
    »Gut«, sagte der Marquis. »Das ist sehr gut. Du weißt, was von dir verlangt wird, Yvonne. Nimm diesen Becher und leere ihn in einem Zug. Dann sollst du zur Runde der vier Fürsten gehören. Ich mache dich zur Königin des Feuers, zur Gebieterin über Glut und Sterne, vom winzigsten Funken bis zum Weltenbrand! Gemeinsam mit euch werde ich das Universum beherrschen und zwar bis in alle Ewigkeit!«
    Beliar warf den Kopf in den Nacken und breitete die Arme aus. In dieser Pose wirkte er wie ein TV-Heiliger, der sich am Jubel der Massen berauschte.
    Ravennas Puls raste. Unbemerkt ließ sie das Pulver in die Felsrinnen rieseln, aus denen der Fünfzackstern bestand. Sie hatte einen solchen Anblick schon einmal gesehen: Hexenpuder, ein Pentagramm und zuckende Lichter.
    Lynette sank auf ein Knie und bot Yvonne den Becher dar. Der Inhalt dampfte, doch die Außenseite war von einer Frostschicht überzogen. Begierig griff Yvonne nach dem Pokal.
    Da schallte ein Schnarren durch den Burggarten, begleitet von einem unheimlichen Gesang. Mit einem Ruck drehte Beliar seinen Kopf herum. Seine Augen glühten und die Gäste stöhnten auf. Nur eine schwarze Hexe konnte so singen: schaurig, schräg und schön, grell wie Krähengeschrei und dann wieder melodisch wie das Gurren einer Taube. Elinors Lied hallte durch den Garten. Jeder Ton fuhr Ravenna in Mark und Bein.
    Die Marquise stand auf dem Wehrgang. Der Nachtwind zerrte an ihren Gewändern und ließ Rocksaum und Schleier wie düstere Flammen flattern. Ein Schritt trennte sie vom Abgrund jenseits der Burgmauer. Spiegellichter irrten über das Instrument, das sie in den Armen wiegte, und ihr Blick ruhte auf Beliar.
    »Ich verfluche dich!«, schrie sie. »Beliar vom Hœnkungsberg – sei auf alle Zeit verdammt! Ich wünsche, dass dir jeder Tag die Hölle auf Erden bereitet, so wie du es mir zugedacht hast!«
    Ravenna zuckte zusammen, als ihre Schwester den Kopf in den Nacken warf und hell auflachte. Es war das Lachen aus ihrer Kindheit: unbekümmert, wild und selbstbewusst.
    »Was willst du hier? Siehst du nicht, dass du überflüssig bist?«, rief Yvonne. Der Stab aus Elfenbein bog sich in ihren Händen, die Spannung löste sich mit einem Knall. Elmsfeuer raste an dem Stock auf und ab. Ein Gewitter zuckte über den Turmspitzen der Burg, lautlos und gespenstisch. »Wie ich höre, wollte Morrigan nichts von dir wissen«, rief Yvonne. »Es ist auch nicht weiter wichtig, denn heute Nacht öffnet sich das Tor durch mich.«
    Elinor starrte sie an … nein – sie starrte durch Yvonne hindurch und fixierte die Stelle, an der Ravenna kauerte. »Jetzt!«, schrie sie. »Jetzt!«
    Ravenna hatte keine andere Wahl. Selbst wenn sich die Hexe vom Hœnkungsberg nun von der Mauer stürzte, blieb ihr nichts anders übrig als zu kämpfen und zu sterben. Sie sprang auf und zog das Schwert. Ihre Haare knisterten in der Spannung, die plötzlich in der Luft lag. Das graue Hexenpulver stäubte in einer Wolke zu Boden, als sie den Beutel mit der freien Hand umdrehte, ausschüttete und fortwarf.
    Mit den Sinnen einer Fledermaus hatte Oriana ihr Kommen bemerkt. Sie wirbelte herum und warf sich ihr entgegen, doch diesmal war Ravenna besser bewaffnet und auf den Angriff der Leibwächterin gefasst. Ein Hieb mit der Breitseite der Klinge und ein Stoß mit dem Heft und die Fürstin der Luft taumelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Seite.
    Velasco fluchte und begann zu rennen. Yvonnes Augen blitzten auf. Sie packte den Becher und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Elinor sprang nicht. Sie trat nach vorne an die Brüstung und umkrallte den Handlauf, als klammere sie sich mit aller Gewalt ans Leben. Doch sie hatte nicht mit der Gelehrigkeit ihrer Schülerin gerechnet. Als Lynette bemerkte, dass die Marquise im Begriff stand, Beliars Pläne zu durchkreuzen, stürzte sie zur Treppe. Ein Satz – und das Mädchen stand zwischen zwei Zinnen. Sie musste mit den Armen rudern, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Das Amulett der Schatten glänzte auf ihrer Brust.
    »Herr und Meister!«, rief sie mit ihrer hellen Stimme. »Elinor hat dich verraten! Nimm mein Blut! Es wird dir das Tor öffnen, das dich in den Tanzkreis der Hexen bringt.«
    Lynette trat einen Schritt nach hinten. Mit ausgebreiteten Armen schwebte sie einen Sekundenbruchteil im Nichts und das lange Haar umwallte sie wie eine goldene Flamme. Dann war sie verschwunden.
    Ein vielstimmiger

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