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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ohne einen Gefährten an Eurer Seite weihen lassen, auch wenn wir an Beltaine zusammen waren. Und Ihr könnt jederzeit in Eure Welt zurückkehren.« Er deutete auf den Menhir, der hinter ihnen aufragte. »Morrigan hat Euch anerkannt, nicht wahr? Wir alle konnten sehen, wie der magische Strom durch Euch floss. Somit ist es nicht länger Melisendes Ring – er gehört Euch. Ihr könnt das Siegel jederzeit nehmen und uns verlassen, denn Ihr seid die Tormagierin. Vergesst das nicht.«
    Nach diesen Worten bückte er sich, raffte sein Gurtzeug und das Schwert vom Boden auf und ging davon. Ravenna starrte ihm nach, bis seine Gestalt in der Dämmerung verschwunden war. Dann stand sie auf, schüttelte den Mantel aus und zog ihn um die Schultern. Auf Zehenspitzen stellte sie sich vor den Menhir und betrachtete den Ring. Das Siegel bestand wieder aus kaltem Silber, die magischen Zeichen waren nichts weiter als eine Runenschrift am Rand. Als sie die Finger über die Kerben gleiten ließ, löste sich das Siegel und fiel aus dem Stein. Sie fing es gerade noch auf, bevor es auf dem Boden aufschlug.
    Lucian hatte Recht: Sie konnte nun ohne weiteres heimkehren. Sie hatte im Mittelalter nichts mehr verloren, ihre Aufgabe war erfüllt. Doch sie hatte ihn nicht gefragt, wie er sich entscheiden würde, wenn er die Wahl hätte.
    Der Wind wurde stärker. Der Himmel verlor seine tiefdunkle Farbe und hellte sich langsam auf. Bei den Zelten schrie ein Neugeborenes.
    Ravenna ging zum Lagerplatz der Hexen hinunter.
    Die Ritter hatten sich unter den Bäumen versammelt. Sie bewachten die gefangenen Krieger vom Hœnkungsberg. Besorgt ließ Ravenna den Blick über die Männer schweifen, suchte nach Vermissten und Verwundeten, doch die Gefährten waren vollzählig: Terrell hinkte nach einem Schlag gegen das Bein, Marvin wurde vom Hofhund des Gasthauses begleitet, der wie eine Klette an ihm hing, und unausgeschlafen wirkten sie alle. Doch sie grinsten und winkten Ravenna fröhlich zu. Nur von Lucian war keine Spur zu sehen, und das machte ihr Sorgen.
    Außer den Kriegern waren viele Menschen aus den Dörfern am Fluss und von den Gehöften im Umkreis des Hohen Belchen gekommen. Sie hielten sich im Hintergrund und hatten die Schlacht um die stehenden Steine vom Waldrand aus beobachtet.
    Auf einem flachen Wiesenstreifen standen wenigstens dreißig Zelte. Die Eingänge waren mit Baldachinen überdacht, Zackenborten und Wimpel bewegten sich im Wind. Ratlos blickte Ravenna umher, bis sie Josces Meute entdeckte. Die Hunde lagen vor einem großen Zelt aus Leinenstoff, die Köpfe ausnahmslos in Richtung ihrer Herrin gedreht, die an einer Zeltstange lehnte und rauchte. Josces Augen glühten in der Dämmerung. Der Räucherduft von Lavendel, Zimt und Nelken wehte Ravenna entgegen, als sie sich näherte.
    »Es ist ein Junge«, sagte die Jägerin fröhlich. »Klein und schrumpelig wie eine Rosine.«
    »Sag ich doch«, murmelte Ravenna. »Herzlichen Glückwunsch.«
    »Das gilt nicht mir, sondern Mavelle. Am besten gratulierst du ihr selbst.« Die Jägerin schlug die Zeltplane vor dem Eingang zur Seite und machte mit dem Pfeifenstiel eine einladende Bewegung.
    An einem Haken, der in der Mitte des Zeltdachs befestigt war, drehte sich eine Laterne. Der Lichtschein fiel auf einen Berg aus Polstern und roten Kissen, auf dem die Elfe ruhte. Sie wirkte zierlich und mädchenhaft. Ihr Haarschopf loderte wie eine Silberflamme und ihre Augen sprühten vor Lebendigkeit, während sie mit den Sieben plauderte und scherzte. Im Arm hielt sie ein winziges Bündel, das in Leinen und dann noch in ein Wolfsfell gewickelt war. Als Mavelle Ravenna erkannte, strahlte sie über das ganze Gesicht.
    »Da kommt sie! Macht Platz! Millie, nun rück schon ein Stück. Schaut sie euch an: rettet zwei Leben auf einen Streich. Du bist meine Heldin, Ravenna.«
    Die Angesprochene spürte, wie sie rot wurde. Die überschwängliche Aufmerksamkeit war ihr peinlich. Sie nahm Millies Hand und drückte sie. »Danke! Du hast gut reagiert«, sagte sie. »Fast hätte ich geglaubt, du würdest mir das Siegel nie zurückgeben.« Die junge Hexe grinste unsicher und rutschte zur Seite.
    Als Esmee das weiche Wolfsfellbündel nahm und es ihr in den Arm drückte, blieb Ravenna stocksteif stehen. »Ich kann nicht besonders gut mit Kindern«, murmelte sie. »Ich habe zu wenig Übung.«
    »Das gibt sich«, zwinkerte die schöne Hexe und zog das Tuch ein Stück zur Seite.
    Ravenna hob die Augenbrauen. Das Gesicht des

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