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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Babys bestand aus runzeligen Hautschichten. Auf dem Schädel wuchs wolkiger Flaum und die Ohren endeten in sanft abgerundeten Spitzen. Der Kleine sah tatsächlich wie ein Wolfsjunges aus: haarlos, stupsnasig und blind.
    »Ehm, also, das ist … er ist … wirklich ausgesprochen … außergewöhnlich«, stammelte Ravenna. Plötzlich merkte sie, dass ihre etwas ratlose Miene wohl nicht gerade Begeisterung ausdrückte. Schnell setzte sie ein Lächeln auf. Die Hexen lachten.
    »Ach, das wird schon«, meinte Nevere. »Wenn er wächst, wird das ein hübscher Bursche.«
    »Er heißt Sid«, sagte die Elfe. Als der Kleine ihre Stimme hörte, räkelte er sich und krähte vor Vergnügen. Ravenna legte Mavelle das Bündel in den Arm.
    »Ich muss euch etwas erzählen«, sagte sie. Die Gesichter der Sieben wandten sich ihr zu: olivfarben, bleich oder glitzernd wie Eis im Sonnenlicht. Jede Hexe war so einzigartig wie das magische Siegel, das sie hütete. »Beliar hält Morrigan gefangen. Die Göttin erschien mir im Kerker auf dem Hœnkungsberg und sagte, sie könne diesen Ort nicht verlassen. Ich habe keine Ahnung, ob das jetzt immer noch so ist oder ob Beliars Verschwinden ihre Lage verändert. Jedenfalls ging es ihr nicht gut.« Plötzlich platzten die Worte nur so aus ihrem Mund. Die Sätze überschlugen sich, als sie den Sieben aufgeregt berichtete, was auf der Festung geschehen war.
    »Das nenne ich Ironie des Schicksals«, brummte Josce, sobald sie geendet hatte. Sie klopfte die Pfeife an ihrem Stiefelabsatz aus. »Elinor wünschte sich nichts sehnlicher als die Anerkennung durch Morrigan. Jetzt sitzt die Göttin in dieser verfluchten Burg fest und die Marquise ahnt nicht einmal etwas davon.«
    »Das heißt also, durch Beliars Verbannung wurde sie nicht befreit?« Ravennas Mut sank. Sie hatte gehofft, die Sieben würden ihr erklären, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Runde wirkte aufmerksam und angespannt.
    »Davon ist auszugehen«, nickte Josce. »Ich glaube, Beliar war auf jede Wendung des Schicksals gefasst – auch auf den Fall, dass wir ihn bezwingen. Ich bin sicher, er hat Morrigans Gefängnis so gestaltet, dass sie sich nicht selbst befreien kann.«
    »Aber sie ist eine Göttin. Die Göttin. Die Hexengöttin. Also, was ich eigentlich meine, ist: Ist sie nicht unvorstellbar mächtig?«
    Esmee lächelte, als sie Ravennas Verwirrung sah. Der Magierin von Beltaine sah man als Einziger die durchwachte Nacht nicht an. Ravenna begann zu vermuten, dass sie unter den Gewändern den magischen Gürtel trug. »Göttin ist nur ein anderes Wort für Magie. Es bedeutet nicht, dass jemand allmächtig ist oder unsterblich. Als du heute Nacht in unserer Mitte getanzt hast und die Siegel zum Glühen brachtest, da warst du die Göttin.«
    »Ich soll getanzt haben? Zwischen den Menhiren?« Ravenna spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Hoffentlich hat Lucian das nicht gesehen, dachte sie. Yvonne sagt immer, ich tanze wie ein betrunkener Bär.
    Nevere musterte sie mit gerunzelter Stirn. »Elinor hat dir also geholfen? Das ist wirklich kaum zu glauben«, murmelte sie. »Als ich sie das letzte Mal sah, hätte sie uns alle am liebsten in den Boden gestampft.«
    »Warten wir’s ab, wie lange diese Einstellung anhält«, warf Josce ein. »Wir werden bald erfahren, wie die Marquise zu uns steht, denn wir werden demnächst an ihre Tür klopfen. Drei der Fürsten sind entkommen. Wir werden sie jagen und nicht ruhen, bis die Gefahr gebannt ist. Wir können nicht zulassen, dass sich Beliars Fluch wie ein Geschwür in diesem Land ausbreitet.«
    Ravenna schauderte, als ihr klarwurde, dass auch von ihrer Schwester die Rede war. »Ich werde euch dabei helfen, sei es im Mittelalter oder in meiner Welt«, versprach sie. »Da wir schon beim Thema sind: Wo ist Constantin? Ich muss ihn dringend etwas fragen.«
    Die Sieben schickten sie zurück in den Steinkreis. Dunst stieg aus der Wiese auf und waberte um den Fuß der Menhire. Die Steine schienen mitten in einem See aus Nebel zu stehen.
    Der König lehnte an einer Stele. Er hatte eine Hand um den Schwertgurt geschlossen und die andere auf den Knauf seiner Waffe gelegt. In dieser Haltung starrte er in das morgendliche Flusstal hinunter. Neben den grauen Menhiren wirkte Constantin noch kleiner als in seinem Rittersaal. Das schilffarbene Haar auf seinem Kopf wirkte ganz zerzaust und auf seinem Mantel waren Grasflecken.
    Als er ihre Schritte hörte,

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