Die Hexen - Roman
nachgezogen hatte. In der langen Schlange vor der Küche hatten sich einige Freundinnen gemeinsam angestellt, Mädchen mit mandelförmigen Augen und glatten, schwarzen Zöpfen. Andere wiederum hatten krauses, brünettes oder flammenrotes Haar und eine Flut von Sommersprossen. Die älteren Mädchen saßen im vorderen Teil des Saals und führten ernsthafte Gespräche. Die meisten von ihnen trugen Schleier und Kinnbinden und sahen wie richtige Edelfräulein aus. Von den sechs Frauen, die sich die Sieben nannten, fehlte an diesem Morgen jede Spur.
In dem Gedränge und Geschubse vor der Küche bahnte sich Ravenna mühsam den Weg. Um ein Haar stieß sie mit einer Serviererin zusammen, die eine große, dampfende Schüssel schleppte. »Entschuldigung, ich suche …«
»Platz gibt’s hinten am Kamin noch genug!«, rief die schwitzende Frau Ravenna zu. »Da schmeckt’s auch nicht anders als hier vorne.« Geräuschvoll setzte sie die Schüssel ab und tauchte die Kelle in den Brei. »Hafergrütze mit Honig, Rahm und einer Prise Salz. Wer will den ersten Löffel?«
Keines der Mädchen machte Anstalten, den Napf vorzustrecken. Wer bereits eine Portion oder einen Kanten dunkles Brot erhalten hatte, hatte längst aufgehört zu essen. Die Gespräche verstummten, bis der ganze Saal in Ravennas Richtung starrte.
»Was ist? Was gafft ihr denn so?«, fauchte diese, peinlich berührt von so viel Aufmerksamkeit. Seit ihrem ersten Tag in der Berufsschule, als sie vor den angehenden Handwerkern aufgestanden war und verkündet hatte, dass sie Steinmetzin werden wollte, war sie nicht mehr so angestarrt worden. »Ich bin es nur – die mit der Hose, die aussieht wie einer von Constantins Stallburschen. Habt ihr noch nie eine Frau in einer Jeans gesehen?«
Die Mädchen fingen an zu tuscheln. Unter ihren zornigen Blicken tauchten die Jüngsten hastig die Holzlöffel in den Brei, aber die jungen Frauen musterten Ravenna feindselig. »Sie hat nicht nur keine Ahnung, wie man sich kleidet – sie hat auch das Benehmen eines Stallknechts«, bemerkte eine so laut, dass Ravenna es hören musste. »Man darf sich wirklich fragen, warum die Sieben ausgerechnet sie ausgewählt haben.«
Die Sprecherin trug Goldschmuck und ein weißes Gebende. Blonde Locken quollen unter dem Rand der Haube hervor. Plötzlich begriff Ravenna, weshalb die Mädchen so finstere Gesichter machten: All ihre Gespräche drehten sich um sie.
Sie ging auf die Gruppe zu. »Ist das hier eine Besserungsanstalt? Oder ein Internat für unartige Töchter?« Wenn sie wollte, konnte sie so garstig vom Leder ziehen wie ein Gerüstbauer. »Keine Sorge, ich mache euch euren Platz auf dem Odilienberg nicht streitig. Eine zugige Kammer, eine Küche ohne Strom und ein Plumpsklo im Garten? Vielen Dank auch!«
Herausfordernd standen die jungen Frauen auf und blickten ihr entgegen. »Wir sind Jungmagierinnen im letzten Jahr vor der Einweihung«, fauchte die Sprecherin der Gruppe. »Viele von uns stammen aus Fürstenhäusern oder Adelsfamilien, manch andere nur von einem Dorf auf dem Land. Aber jede, die auch nur einen Funken Talent besitzt, kommt hierher. Es ist eine Ehre, in diesen Konvent aufgenommen zu werden. Doch was hast du schon vorzuweisen?«
»Ich bin durch ein Zeittor gekommen, das siebenhundert Jahre in die Zukunft reicht«, platzte Ravenna heraus. Sie wusste selbst nicht, warum sie das sagte. Vielleicht nur, um die erschrockenen Gesichter der anderen Mädchen zu sehen?
»Lynette hat Recht«, warf ein Mädchen mit geflochtenen braunen Haarschnecken ein. »Aus der ganzen Welt kommen hoffnungsvolle Anwärterinnen zum Odilienberg, doch trotz langer Vorbereitungen gelingt es nur den wenigsten, das Aufnahmeritual zu bestehen. Dir aber glückt es auf Anhieb. Da ist es doch verständlich, dass man eifersüchtig wird.«
»Was denn für ein Aufnahmeritual?«, fragte Ravenna verblüfft.
Die anderen Mädchen stöhnten und rollten mit den Augen. »Das gibt’s doch nicht!«, rief eine quirlige, junge Frau. »Warst du nun gestern Nacht im blauen Saal oder nicht? Hast du auf dem Sternenthron gesessen und aus Avelines Kessel getrunken? Na also.«
»Das war das Ritual?«, fragte Ravenna. »Was ist denn schon dabei? Ein bisschen Wein trinken und die Füße ans Feuer strecken – warum macht ihr darum so ein großes Aufheben?«
»Weil es der Thron der Göttin ist«, zischte Lynette. Sie näherte sich Ravenna, bis sie einander aus kürzester Entfernung in die Augen sahen. »Jede von uns nimmt
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