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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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kann. Dass du unserem Ruf gefolgt bist, ist Beweis genug, dass du ihre Gabe besitzt. Bestimmt erinnerst du dich an die eine oder andere Gelegenheit, bei der sich deine magische Ader zeigte?«
    Aber Ravenna konnte nur hilflos die Achseln zucken. Vom Wein verschwammen ihr die Sinne und sie fühlte sich unwohl. »Ich habe keine Ahnung, wer diese Melisende ist«, wiederholte sie. »Oder Beliar. Aber wir sind ganz sicher nicht verwandt. Ich besitze weder eine Gabe noch eine magische Ader. Ihr verwechselt mich mit jemand anderem. Wen wolltet ihr dort unten an der Heidenmauer treffen? Ich bin nur eine Reiterin, die während des Unwetters vom Pferd gestürzt ist. Ich bin euch wirklich sehr dankbar, dass ihr mich nicht im dunklen Wald liegen gelassen habt, aber morgen früh wird sich sicher alles aufklären.«
    Keine der Frauen machte Anstalten aufzustehen oder gab in irgendeiner Weise zu erkennen, dass das Spiel unterbrochen war. Jede behielt ihre Rolle bei und die Zuversicht, mit der Ravenna die letzten Worten hervorgestoßen hatte, verschwand. Sie mied den Blick in den Innenhof, wo die jungen Linden rauschten – wie ein Kind, das das Gesicht im Schoß vergrub und glaubte, es sei unsichtbar. Doch tief im Inneren spürte sie, dass etwas geschehen war, etwas vollkommen Unglaubliches. Dies war nicht länger ihre Welt, jene Zeit, die sie kannte und in der sie heimisch war. Wie ist so etwas möglich?, dachte sie.
    »Ein unausgebildetes Talent. Auch das noch!«, stöhnte das Mädchen. »Hat dich nie der Ruf der Göttin ereilt? Oder hast du dir die Ohren verstopft, als er ertönte? Man glaubt gar nicht, wie viele Leute heutzutage ihre Fähigkeiten brachliegen lassen.«
    »Still, Aveline«, ermahnte sie die Magierin von Mabon. »Nur weil du das Glück hattest, dass deine Gabe schon im Kindesalter erkannt wurde, heißt das noch lange nicht, dass du über andere spotten darfst.«
    »Aber gerade jetzt, da Melisende in Gefahr ist, könnten wir eine wie sie brauchen – eine echte Zauberin, die die Feuerzeichen am Himmel lesen kann!«, brauste das Mädchen auf. »Wir haben keine Zeit, eine Ahnungslose durch alle Stufen der Ausbildung zu schleppen und uns dabei zu fragen, ob sich die Raupe jemals in einen Schmetterling verwandelt.«
    »Vielleicht möchte ich gar nicht eingeweiht werden«, knurrte Ravenna die Sprecherin an. »Vielleicht gefällt es mir ganz gut in meinem Kokon.«
    Die Frau mit dem Stern auf der Stirn hatte während des ganzen Gesprächs auf der Fensterbank gesessen. Nun stand sie auf, fasste Ravenna unter dem Kinn und blickte ihr in die Augen. Ihr Blick war kühl und klar und ihre Berührungen sanft. Ravenna konnte nicht erkennen, wie der Schmuck auf ihrer Stirn befestigt war, doch je länger sie hinschaute, desto mehr gewann sie den Eindruck, dass das Blattgold mit der Haut verschmolzen war.
    »Die Ärmste hat wirklich keine Ahnung, wovon ihr sprecht«, stellte sie leise fest.
    »Ach, Nevere!« Ungehalten winkte die Jägerin ab und schnippte den langen Zopf zurück, der ihr über die Schulter gerutscht war. »Heb dir deine Heilergabe lieber für Constantin und seine Ritter auf, wenn sie vom Gefecht zurückkehren. Ravenna ist müde und zerstreut, aber sie wird sich sicher bald besinnen. In Straßburg spricht man doch seit Wochen über den anmaßenden Burgherrn von Hœnkungsberg und seine Gemahlin.« Das letzte Wort sprach sie mit besonderem Abscheu aus. Das Mädchen rümpfte die Nase.
    Die Frau mit dem Stern ließ jedoch nicht locker. »Du stammst also aus dem Rheintal«, forschte sie. »In welchem Jahr wurdest du geboren, Kind?«
    »April Achtundachtzig«, sagte Ravenna. Erleichtert atmete sie auf, weil endlich jemand auf ihre Geschichte einging. Dann bemerkte sie das Befremden auf den Gesichtern. »Neunzehnhundertachtundachtzig«, setzte sie erklärend hinzu. »Und im Mai 2011 bin ich losgeritten.«
    Die Verwirrung verwandelte sich in Bestürzung.
    »Das kann nicht sein«, meinte Viviale mit fassungsloser Miene. »Unmöglich.«
    »War es etwa ein Zeittor, an dem wir sie gerufen haben?«, warf das Mädchen kleinlaut ein. »Oder haben wir nur zu wenig von Melisendes Haar verbrannt, bevor der Spruch zu wirken begann?«
    »Gewiss war es das«, schnaubte die silberhaarige Elfe, »doch leider ist Melisende die Einzige, die uns hätte sagen können, in welche Richtung sich das Tor öffnet und wie weit es in die Zeit reicht. Über siebenhundert Jahre – das ist unfassbar.«
    »Beweise, was du da behauptest!«, donnerte die

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