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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Schritt zurück.
    Das Licht glänzte auf der runden Tafel. Da entdeckte Ravenna, dass vor jedem Sitzplatz ein Ring aus schwarzem Silber eingelassen war. Im flackernden Feuerschein und nach einem Becher Wein war ihr in der Nacht zuvor der Schmuck nicht aufgefallen, doch nun beugte sie sich über die Tischplatte, um die Verzierung genauer zu untersuchen.
    Jeder Ring war etwa handtellergroß. In der Mitte saß ein achtzackiger Stern, wie die Windrose, die als Wandschmuck in ihrer Kammer hing. An der Verbindungsstelle von Radkranz und Zacke glitzerten winzige Edelsteine, die bei jedem Ring eine andere Farbe hatten. Dazwischen waren Zeichen eingeprägt wie bei einem Siegelring. Dieselben Zeichen hatte sie auf den Gewändern und Gürteln der Sieben gesehen und auch in der Mitte der Windrose kehrten sie wieder. Behutsam ließ Ravenna die Finger über den Silberschatz der Hexen gleiten. Diese Siegel gehörten nicht ins Mittelalter, sie wirkten beinahe zeitlos. Keines der Räder ließ sich auch nur einen Fingerbreit verschieben, so fest saßen sie in ihren Vertiefungen.
    Neugierig umrundete sie die Tafel und studierte jedes Siegel. Sie entdeckte eine Apfelblüte, eine Reiterin mit hoch erhobenen Armen, ein geschlossenes Auge, eine Ähre, einen Kelch und einen silbernen Knoten. Nur vor dem Thron gab es kein Siegel, der Stuhl selbst schien die magische Runde zu vervollständigen.
    Wer hatte gestern Abend wo Platz genommen? Sie erinnerte sich nicht genau. Hatte Josce vor dem Ring mit der Reiterin gesessen? Es würde gut zu ihr passen. Und die Elfe, deren Namen sie nicht kannte? Hatte sie sich nicht mit beiden Händen neben dem Siegel mit dem Auge aufgestützt, um ihren gewölbten Bauch zu entlasten?
    Ravenna hob den Kopf. An dem Platz, der dem Thron gegenüberlag, war die Vertiefung leer. Das Siegel fehlte. Wo war es? War es ausgeliehen worden? Oder hatte es jemand in Gebrauch? Aber nein – dieser Platz war am Vorabend leer geblieben.
    Kopfschüttelnd ging sie zur Tür. Jetzt denkst du schon genau wie diese Leute hier, schimpfte sie sich. Aber du gehörst nicht hierher – so viel steht fest.
    Ohne Vorwarnung fuhr sie herum und ließ den Blick über die Erker und die langen, schweren Vorhänge gleiten. Das Gefühl, beobachtet zu werden, hatte sie beschlichen, seit sie in den blauen Saal getreten war. Doch da war niemand, alles war still. Die Sterne über dem Thron schimmerten im Halbdunkel und schienen wie eine Spiegelung auf Wasser zu treiben.
    Mit einem Knall schloss Ravenna die Tür. Höchste Zeit, diesen Ort zu verlassen! Flüchtig prüfte sie, ob sie alle Habseligkeiten bei sich trug: die Geldbörse, die Autoschlüssel und die kaputte Uhr. Wenn die Sieben sie nicht begleiten wollten, musste sie den Weg zurück zum Hexenring eben allein finden. Hätte sie das Scheuen ihres Pferdes doch ernst genommen! Offenbar hatte der Wallach gespürt, dass mit dieser Stelle auf dem Waldboden etwas nicht in Ordnung war. Ravenna seufzte. Wenigstens kehrte sie mit einer Geschichte in ihre Zeit zurück, die Yvonne bestimmt viele Abende lang unterhalten würde.
    Mit raschen Schritten durchquerte sie den Innenhof und schritt durch das Spalier der jungen Linden. Der Platz war von allen Seiten von Gebäuden umgeben.
    Erstaunt betrachtete Ravenna das Gebäude, das sich anstelle der romanischen Kapelle erhob, die sie aus ihrer Zeit kannte. Ein derartiges Bauwerk hatte sie noch nie gesehen. Mit den flachen Stufen und den Rundbogen sah es wie ein Tempel aus, die Wände zwischen den Säulen schienen aus flüssigem Glas zu bestehen.
    Dahinter öffneten sich die Aussichtsterrassen, von denen man bei Sonnenschein eine großartige Aussicht hatte. Eng an die Mauer geschmiegt, erhob sich ein Türmchen, auf dessen Kuppeldach die Statue der heiligen Odilie stand. Schützend hielt sie ihre Hand über das Elsass. Ravenna bedauerte, dass sie die Statue auf dem Weg zur Pforte nur von hinten sah.
    Nach wenigen Schritten erreichte sie das Eingangsgebäude. Im Gewölbegang, der siebenhundert Jahre später durch ein Tor zum Busparkplatz und dann hinunter zur Straße führen sollte, trat ihr ein Mann in den Weg.
    Unwillkürlich zuckte sie zurück, denn er trug einen Helm, ein Kettenhemd aus feinen Ringen und Beinschienen aus Metall. An einem Gurt, der ihm quer über die Brust lief, hing ein großes Schwert. Der Griff ragte über seine Schulter hinaus.
    »Herrin, wollt Ihr alleine spazieren gehen? Dort draußen ist es gefährlich. Vielleicht solltet Ihr Euch besser

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