Die Hexen - Roman
verschwinden. Du wirst mir jetzt versprechen, dass du nie wieder Magie benutzt.«
Plötzlich lag ein Gefühl von drohendem Unheil in der Luft, das Sirren einer unsichtbaren Gefahr. Ravenna bekam eine Gänsehaut. »Aber wir erinnern uns eben doch«, beharrte sie, obwohl sie das dumpfe Gefühl hatte, lieber den Mund zu halten. »Yvonne sagt fyr fleogan und dann kommen die Glühwürmchen. Und wenn ich rufe …«
Bevor das Bild eines großen, schwarzen Salamanders in ihrem Kopf zu einem Wort geworden war, landete Mémés Hand auf ihrem Gesicht und erstickte die Laute. »Ihr werdet das nie wieder tun. Nie wieder, versteht ihr mich!«
Yvonnes Gesicht war rot vor Zorn und nass von den Tränen. Ravenna befreite sich mit einem Ruck. »Ich mache, was ich will«, rief sie. »Es ist doch nichts Schlimmes dabei.«
»Es ist gefährlich«, warnte Mémé, und das Sirren in der Luft verstärkte sich. Die Waschküche mit den dunklen, dampfigen Ecken wirkte unheimlicher als je zuvor. Als wären wir nicht allein, dachte Ravenna. Als könnte uns jemand sehen. Doch sie wollte nicht klein beigeben.
»Aber warum?«, beharrte sie.
Mémé zog die beiden Kinder zu sich heran. »Es ist die Sprache der Hexen. Wer sie benutzt, fällt leicht ins Feuer und verbrennt sich. Es ist eine Geheimsprache, und ein Geheimnis soll sie bleiben. Deshalb werdet ihr auch euren Eltern nichts davon erzählen, weder heute noch irgendwann. Schwört ihr mir das?«
»Nein«, stieß Ravenna hervor. »Wir gehen jetzt in den Garten und spielen weiter.«
Blitzschnell hatte Mémé sie gepackt und drehte den Wasserhahn auf. So sehr Ravenna sich auch wand und zappelte – ein ekeliges Stück Seife landete in ihrem Mund. Noch immer erinnerte sie sich daran, wie Mémé sie festhielt und sie zwang, den Brocken im Mund zu behalten, bis sie am Schaum fast erstickte. Hustend und würgend durfte sie die Seife endlich ausspucken und sich den Mund mit klarem Wasser ausspülen.
»Ich hasse dich!«, schrie sie und bekam vor Wut und Unglück kaum Luft. »Ich hasse dich, Mémé! Warum hast du das getan? Es war doch nur ein Spiel.«
Fieberhaft presste die Großmutter beide Mädchen an sich. Der Geruch von kalter Asche, Seifenlauge und Rattendreck lag in der Luft. Die dunklen Ahnungen verstärkten sich, bis sie kaum mehr auszuhalten waren, und nicht einmal Mémés schuldbewusste Liebkosungen konnten sie vertreiben. »Besser Seife als Feuer!«, flüsterte sie und ihre Augen starrten ins Nirgendwo. »Irgendwann werdet ihr das verstehen.«
Besser Seife als Feuer – Ravenna merkte nicht, dass sie diese Warnung flüsternd wiederholte.
»Was ist los mit ihr? Was murmelt sie da?« Die Stimmen der jungen Hexen schwirrten durcheinander und holten sie in den stickigen, überfüllten Speisesaal zurück.
»Sie war zu lange im Tor«, zischte Lynette. »Der magische Strom hat schon ganz anderen die Sinne verdreht.«
Ohne ein Wort wandte Ravenna sich ab und ließ die jungen Frauen stehen. Sie hatte Gänsehaut an beiden Armen. Voller Unbehagen zog sie die Jacke enger um sich, während sie durch die endlosen Gänge eilte. Mein Kokon, dachte sie. Das Schneckenhaus, in dem ich sicher bin. Ganz gleich, was die Sieben von ihr erwarteten: Sie wollte nicht mehr an die Ahnungen erinnert werden, an die Gelegenheiten, bei denen sich ihre magische Ader gezeigt hatte – ein gefährlicher Kraftstrom, durchaus.
Nach einigen Irrwegen fand sie den Saal mit der blauen Gewölbedecke wieder. Ungeduldig pochte sie an der Tür. »Josce! Aveline!«, rief sie, doch niemand antwortete. »Viviale – wo steckt ihr? Was war das für ein Aufnahmeritual, von dem die Aufgenommene nicht ein Sterbenswort erfährt? Ich dachte immer, die Anwendung von weißer Magie setzt das Einverständnis der Betroffenen voraus! Und ich bin nicht einverstanden, hört ihr! Ich bin es nicht!«
Nur Schweigen war die Antwort. Der unbeleuchtete Gang wirkte wie ausgestorben. Behutsam drückte Ravenna die Klinke hinunter. Die Tür öffnete sich geräuschlos, doch der Raum war verlassen und die Feuerstelle kalt. Durch das Fenster fiel ein Streifen staubigen Sonnenlichts. Ravennas Blick wanderte zum Thron. Bei Tageslicht wirkte er weder majestätisch noch erhaben, sondern einfach nur wie ein Stuhl mit verzierter Lehne.
Ravenna holte tief Luft. Einige Sekunden lang war sie versucht, sich zu setzen und herauszufinden, ob tatsächlich ein tödlicher, magischer Stoß durch sie hindurchjagen würde. Dann zuckte sie die Achseln und trat einen
Weitere Kostenlose Bücher