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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Geschichtsbüchern kannte. Stattdessen ritt er sorglos neben ihr, umgeben von knarrendem Sattelleder, klingender Kette und dem gedämpften Schnauben der Pferde.
    Sie seufzte und ordnete die Zügel. Dann runzelte sie die Stirn. »Es sind acht Daten im Jahreskreis«, zählte sie an den Fingern auf. »Viviale und ihre Schwestern nennen sich jedoch die Sieben.«
    Beim Klang ihrer Stimme schrak Lucian aus seinen düsteren Gedanken auf.
    »Verzeiht mir! Was bin ich doch für ein schlechter Begleiter! Neben mir langweilt Ihr Euch bestimmt zu Tode.«
    »Nein, ganz und gar nicht«, grinste Ravenna. »Eigentlich finde ich dich ganz nett.«
    Woher nehme ich nur diesen Schneid?, wunderte sie sich im nächsten Augenblick. Früher hätte ich nie im Leben den Mund aufgemacht, wenn mir so ein gut aussehender Bursche über den Weg gelaufen wäre. Aber Yvonne, nun ja – binnen einer Viertelstunde hätte sie ihn um den Finger gewickelt.
    »Die Mittwinternacht – Yule – ist der Göttin vorbehalten«, erklärte Lucian. »Gestern Abend im Blauen Saal habt Ihr sieben Stühle gesehen, nicht wahr? Sie sind für die Hexen bestimmt – für die Magierinnen. Der Thron dagegen gehört Morrigan.«
    Fröstelnd schloss Ravenna die Augen. Plötzlich war sie wieder allein in dem Raum unter der blauen Kuppel. Das Gefühl, beobachtet zu werden, wurde übermächtig, und sie klammerte sich an das Sattelhorn. Rotgoldene Kreise tanzten ihr vor den Augen und sie spürte den Wiegeschritt der Stute, der sie langsam wieder beruhigte.
    »Ja, ich war dort«, bestätigte sie. »Aber ein Siegel fehlte. Ich glaube, es gehört zu Litha – zu Mittsommer, wenn die Sonne am höchsten steht. Jetzt erkenne ich es: Die Siegel sind entsprechend den Jahreszeiten angeordnet.«
    Lucian nickte, doch er wirkte bedrückt. »Dieses Siegel wurde gestohlen. Bei der Belagerung von Burg Hœnkungsberg wirkte Melisende einen Zauber, der es Beliar unmöglich machen sollte, die Festung zu verlassen. König Constantin, Tade und wir anderen Ritter sollten sie beschützen, während sie einen Ring aus Feuer um den Burgfelsen legte. Aber dann ging alles plötzlich ganz schnell – Beliar durchbrach den Ring und die magischen Flammen konnten ihm nicht das Geringste anhaben. Er und seine Männer, die Ritter von Burg Hœnkungsberg, trieben uns bis an den Waldrand zurück. Tade war einer unserer besten Streiter, aufrichtig, mutig und ein guter Freund für jedermann, aber Beliar erschlug ihn, und seine Soldaten nahmen Melisende gefangen. Dabei fiel ihnen auch das Siegel des Sommers in die Hand.«
    »Melisende«, murmelte Ravenna nachdenklich. »Ich erinnere mich. Die Frau mit dem Stern auf der Stirn behauptete, ich wäre mit ihr verwandt.«
    Lucian nickte voller Überzeugung. »Nevere hat Recht, das seid Ihr auch. Ihr seid diejenige unter Melisendes Nachfahren, in der ihre Gabe am stärksten ausgeprägt ist. Anders kann es nicht sein, sonst wäre der Ruf der Sieben am Tor ungehört verhallt. Während einer Beschwörung kann man nur einen Menschen rufen, zu dem Blutsbande bestehen.«
    »Aber wie soll das denn möglich sein, wenn ich doch siebenhundert Jahre nach ihr geboren wurde?«, fragte Ravenna unwirsch. »Was ist denn mit all den anderen Verwandten, die es zwischen uns geben muss?«
    »Das weiß ich nicht«, entgegnete Lucian mit einem bescheidenen Lächeln. »Ich bin nur ein einfacher Ritter und noch keiner Magierin geweiht. Aber ich glaube nicht, dass selbst ein Gefährte wie Chandler mehr über diese Geheimnisse weiß, und er dient seiner Herrin Josce nun schon viele Jahre. Eine von Melisendes Enkelinnen wird im Konvent erzogen«, fuhr er fort. »Außerdem hat sie noch zwei verheiratete Töchter, die in den umliegenden Tälern leben. Diese beiden Frauen haben die Sieben als erste aufgesucht, aber keine war auch nur annähernd geeignet, Melisende zu vertreten. Eine Gabe, die so stark ist wie Eure, zeigt sich vielleicht nur alle siebenhundert Jahre.«
    Ravenna schwieg und nagte an ihrer Unterlippe. Wie sollte sie dem jungen Ritter erklären, dass die Gabe in ihrer Zeit höchstens ein schwaches Glimmen war? Die Überreste eines Flächenbrands, den Jahrhunderte der Verfolgung und Vernichtung erstickt hatten? Dann runzelte sie die Stirn. Denn wie stand es mit den angeblichen Wahnvorstellungen, unter denen sie in ihrer Welt gelitten hatte? Ein Zeitverlust, kein Verlust von Wirklichkeit – Yvonne war nicht müde geworden, diesen Unterschied zu betonen. Hatte sie sich möglicherweise bereits

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