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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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mit den anderen Magierinnen in den Lesesälen und Schulungsräumen versammeln.«
    Voller Verblüffung ließ sie es zu, dass er ihr den Weg zurück ins Kloster wies. Hatte er sie wirklich Herrin genannt?
    »Ich gehe nicht spazieren, ich gehe heim«, erklärte sie dann. Verstohlen musterte sie das Schwert. Es wirkte schwer und tauglich für den Kampf, nicht wie jener billige Ramsch, den man auf den Mittelaltermärkten im Herzen von Straßburg kaufen konnte. Ungefähr dreizehntes Jahrhundert, schätzte sie. Das war immerhin ein Anhaltspunkt, der erste genaue Hinweis auf die Zeit, in der sie sich aufhielt. Vielleicht war ihr dieses Wissen später von Nutzen, wenn sie am Hexenring stand.
    Der Ritter verlor nichts von seiner Liebenswürdigkeit. »Aber hier seid Ihr doch zu Hause. An welchen Ort könntet Ihr sonst gehen wollen? Die Sieben werden gut für Euch sorgen und Euch alles lehren, was Ihr wissen müsst. «
    »Ich wohne in Straßburg, gleich neben der Schleuse an der Ill. Komm mich doch mal besuchen.« Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen unbekümmerten Klang zu geben, doch sie konnte nicht verhindern, dass sich ihr Puls beschleunigte. Der Ritter machte keine Anstalten, sie vorbeizulassen. Über seiner gepanzerten Schulter konnte sie einen Teil des mit Gras bewachsenen Vorplatzes sehen. Ohne den gewohnten Anblick der lärmenden Schulklassen und Souvenirläden wirkte er seltsam verwaist.
    »Ich danke Euch für die Einladung, Herrin«, erwiderte der Mann ernsthaft. »Gewiss werde ich kommen, wenn die Zeiten anders sind. Gegenwärtig ist es in Straßburg für eine Frau wie Euch viel zu gefährlich. Hier seid Ihr wenigstens vor Beliars Schergen sicher.«
    Beklommen starrte Ravenna ihm ins Gesicht. Ahnte er überhaupt, wie Recht er hatte? Straßburg und überhaupt jede Stadt der Welt waren ein gefährliches Pflaster für eine alleinstehende Frau. Das hatte sie zu ihrem Leidwesen erfahren.
    »Es ist wirklich nett, dass man sich um mich sorgt«, meinte sie. »Trotzdem ist es höchste Zeit für mich. Es ist nicht gut, wenn man … wenn man sich zu lange in der fremden Welt aufhält. Es verbraucht zu viel von dem magischen Kraftstrom.«
    Vielleicht gelang es ihr, den Ritter zu überzeugen, wenn sie wie eine Hexe argumentierte? Als sie sich an dem geharnischten Wächter vorbeizwängen wollte, fasste er sie sanft am Arm. »Ich darf Euch nicht alleine ausgehen lassen, Herrin. Die Sieben haben es verboten.«
    »Die Sieben haben … was?« Ravenna spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. »Bin ich denn eure Gefangene? Eine Geisel auf dem Odilienberg?«, fauchte sie. »In meiner Welt nennt man das Freiheitsberaubung. Ich werde jetzt durch dieses Tor marschieren und niemand hält mich auf.«
    »Es tut mir wirklich leid«, bedauerte der Ritter. »Josce und ihre Schwestern denken, es ist das Beste, wenn Ihr Euch möglichst rasch eingewöhnt. Das macht es leichter für Euch und für uns.«
    Es war blanker Irrsinn – sie stand hier und stritt sich lauthals mit einem Torwächter aus dem Mittelalter. Dann erst fiel ihr auf, was der Krieger gerade zu ihr gesagt hatte: Auch die Sieben mussten sich an ihre Anwesenheit gewöhnen. Offenbar war ihr Auftauchen im Tor für niemanden leicht – weder für die Hexen noch für sie selbst.
    »Chandler … so lautet doch dein Name. Du bist der Gefährte von Josce.« Allmählich fielen Ravenna wieder Einzelheiten ein, die sie am Abend zuvor erfahren hatte. Der Ritter lachte und nickte. Er schien erfreut, weil sie sich seinen Namen gemerkt hatte. Sie musterte das Gesicht unter dem Helm. Es wirkte offen und freundlich. Ein Mann, der viel Zeit im Freien verbrachte, dachte sie. »Chandler, hältst du es ernsthaft für möglich, dass ich einfach so in einen Brunnen gefallen und am anderen Ende der Zeit wieder herausgekommen bin?«
    Der Ritter lachte erneut. »O ja, Herrin, das ist möglich, denn Eure Vorfahrin Melisende beherrscht diese Kunst ganz ausgezeichnet und hat uns oftmals vorgemacht, wie man solche Reisen unternimmt. Allerdings wagte sie nie einen so großen Sprung, wie Ihr ihn geschafft habt. Ich hingegen bin nur ein einfacher Diener des Konvents, und es steht nicht in meiner Macht, irgendwelche Zaubertore zu öffnen oder Brunnen zu durchschreiten. Deshalb dürft Ihr keine Hoffnung hegen, dass ich oder einer meiner Gefährten Euch helfen können. Bitte wartet einen Augenblick.« Er öffnete eine Tür, die unter dem Gewölbegang ins Gebäude führte, beugte sich ins Halbdunkel und brüllte:

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