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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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in der Zwischenwelt eines Tors befunden, angezogen von der Hexenbeschwörung auf dem Odilienberg? Krampfhaft versuchte Ravenna, sich an Geräusche, Gerüche oder an das Licht während der Anfälle zu erinnern. Die Marktstände und das große schwarze Pferd in der Rue Mercière fielen ihr ein, die sie vom Gerüst am Münster aus gesehen hatte. War das bereits das Mittelalter gewesen?
    »Sag mir, Lucian«, begann sie und ihr Begleiter drehte den Kopf zu ihr. »Sag mir, ob die Sieben in letzter Zeit schon einmal versucht haben, eine Verwandte von Melisende zu rufen.«
    Lucian lachte auf. »Ob sie es schon einmal versucht haben? Seit Beliar die arme Melisende in das Verlies nach Straßburg schaffen ließ und sie vor dem Stadtrat der Hexerei beschuldigte, ziehen Josce und ihre Gefährtinnen jeden Abend aus, um eine Beschwörung abzuhalten! Vor kurzem berichtete Chandler uns noch, wie verzweifelt die Sieben waren, weil es wieder nicht gelungen war. Und dann kehrten die Magierinnen in Eurer Begleitung vom Hexenring zurück. Wisst Ihr denn nicht, wie viele Hoffnungen auf Euch ruhen? Beltaine ist schon vorüber und die Sonne steigt immer höher. Uns läuft die Zeit davon. Habt Ihr überhaupt eine Vorstellung davon, was geschieht, wenn der Kreis der Geweihten unterbrochen wird?«
    Ravenna blickte auf den Ring an seiner Hand und schwieg. Nein, sie hatte keine Vorstellung, was dann geschah, und sie wollte auch nicht wissen, was sich gerade im Kopf des jungen Ritters abspielte. Lucians Gesicht verdüsterte sich wieder, seine Wangenmuskeln spannten sich an und er ballte die Faust um die Zügel.
    »Es gibt in diesem Land leider nicht wenige Narren, die sich der Schwarzmagie und Schadenszauberei verschrieben haben. Sie betreiben eine Art dämonischen Kult und beten die Kräfte der Finsternis an. Ihr Ziel ist es, den Strom der Magie, der durch das Wirken der Sieben ständig erneuert wird, in ihre Richtung zu lenken. Dadurch würden sie unvorstellbar mächtig werden, denn sie selbst besitzen keinerlei Macht, sie sind nur Schatten. Ihr Wortführer ist jener Marquis auf dem Hœnkungsberg. Inzwischen fordert Beliar sogar die Königswürde für sich, die Constantin, wie er behauptet, zu Unrecht trägt. Falls das geschieht – und Morrigan bewahre uns davor –, würden wir etwas erleben, das dem Ende der Welt gleichkommt. Ich weiß es, denn ich habe es selbst gesehen.«
    Der junge Mann mit dem netten Lächeln war verschwunden. Neben Ravenna ritt einer von Constantins Kämpfern, ein geübter Krieger, der Tag für Tag sein Leben riskierte, um einen Plan zu vereiteln, den sie selbst nur zur Hälfte begriff. Lucian kennt den Feind besser als wir alle. Chandlers Worte kamen ihr in den Sinn. Der Ritter mit den schönen Augen hatte also ein Geheimnis – eines, das offenbar so düster und schrecklich war wie das ihre.
    Seufzend setzte sie sich im Sattel zurecht und versuchte den Gedanken an den Fluch und an den Einbrecher abzuschütteln. »Weißt du, aus meiner Sicht klingt das alles ziemlich unglaublich. Wenn du meine Welt kennen würdest, wüsstest du, dass es mit Magie nicht mehr weit her ist.«
    »Aber Ihr müsst unfassbare Kräfte besitzen.« Lucian schüttelte den Kopf, als könnte er nicht glauben, was sie erzählte. »Soweit wir wissen, ist noch keiner Tormagierin ein Sprung über so eine große Zeitspanne hinweg gelungen. Kein Mensch, den ich kenne, hätte das überlebt und den Hexenring unbeschadet verlassen.«
    »Dieser Hexenring«, warf Ravenna ein, um endlich auf das Thema zu kommen, das sie so brennend interessierte. »Dieser Ort, an dem die Sieben ihre Beschwörung abhielten – ich glaube, er lag in der Nähe der Druidenhöhle. Weißt du, wie man dorthin gelangt?«
    Das Lächeln, das gerade eben noch auf Lucians Zügen lag, erstarb. »Chandler warnte mich schon, dass Ihr mich danach fragen würdet. Ja, ich weiß, wo diese Pilze wachsen und wo die alten Zauberer begraben sind. Aber ich darf Euch nicht dorthin führen.«
    »Und warum nicht?«, fragte Ravenna und spürte, wie eine ungute Mischung aus Zorn und Verzweiflung in ihr aufwallte. »Ich kann nicht hierbleiben. Und ich möchte es auch nicht. In meiner Zeit wartet meine Familie auf mich und ich habe dort mein eigenes Leben. Ich bin Steinmetzin und wirke am Erhalt des Straßburger Münsters mit. Da staunst du, nicht wahr? So leben wir in meiner Zeit. Und jetzt möchte ich bitte dorthin zurückkehren.«
    Lucian schüttelte den Kopf. »Chandler würde mir den Kopf abreißen«,

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