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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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jung, aber er kennt den Wald und er kennt den Feind. Er kennt ihn besser als jeder andere.«
    »Dann soll er doch mit mir nach Straßburg reiten«, gab Ravenna zur Antwort. Sie schnalzte, schmiegte die Schenkel an den Pferdeleib, und die große, weiße Stute galoppierte los. Die Hufe gruben sich in die Grasnarbe und schleuderten Erde und kleine Steinchen empor. Nach wenigen Sprüngen tauchte sie in das schattige Grün des Waldes.
    Was für ein Ritt! Die Schimmelstute war bestimmt zwei Handbreit größer als ihr Tinkerwallach und ihre Bewegungen fühlten sich kraftvoll und geschmeidig an. Ravenna musste sie nur am Hals berühren, und schon schwenkte Willow in eine andere Richtung. Als der Boden unebener wurde, drosselte die Stute das Tempo von selbst und trabte vorsichtig weiter.
    Ravenna legte den Kopf in den Nacken. Wie still es hier ist!, dachte sie. Der Wald wirkte ruhig und friedlich, viel ruhiger als zu ihrer Zeit, in der man in der Ferne immer ein Motorengeräusch hörte.
    Aber das ist meine Zeit, dachte sie dann ärgerlich. Schließlich bin ich doch hier!
    Als sie einen Hufschlag hinter sich hörte, zog sie die Zügel an und ließ das Pferd langsamer gehen. Lucian schloss mit hochrotem Kopf zu ihr auf. Es war ihm sichtlich peinlich, dass sie ihn auf den ersten Metern abgehängt hatte, noch dazu vor Chandlers Augen.
    »Tut mir leid«, rief sie gut gelaunt. »Hoffentlich bekommst du wegen mir keinen Ärger.«
    Der junge Reiter schüttelte den Kopf. »Ärger bekomme ich nur, wenn ich Euch im Wald verliere, aber das wird nicht geschehen.«
    Er lenkte Ghost auf einen Pfad, der sich durch Findlinge und Heidelbeerbüsche schlängelte. Zwischen den Bäumen sah man immer wieder ein Bauwerk aus grauem Stein, das sich entlang der Hügelkuppe zog. Ist das die Heidenmauer?, fragte Ravenna sich erstaunt. Die Umwallung sah aus, als hätte man sie erst vor wenigen Tagen gebaut. Keine Messerklinge passte in die Ritzen zwischen den Steinen, und die Krone war sorgfältig von Farnen und jungen Bäumen befreit. Weitläufig umspannte die Mauer das Gelände unterhalb des Odilienkonvents.
    Ravenna wandte die Aufmerksamkeit wieder ihrem Begleiter zu. Plötzlich bemerkte sie die schwarze Schwertscheide, die unter Lucians Knie am Sattel hing. Unter dem dunkelroten Wams trug auch er ein Kettenhemd aus feinen, silbernen Ringen.
    »Gehörst du zu König Constantins Männern?«, fragte sie neugierig.
    Wortlos zog Lucian den Lederhandschuh aus und streckte ihr einen Ring entgegen. Er trug das Motiv, das ihr überall wiederbegegnete: den flachen Silberkreis mit der Windrose in der Mitte. Als Schmuckstück eines Ritters war es deutlich kleiner gearbeitet als die Siegel, die sie im Saal der Hexen gesehen hatte. Der Kreis war kaum größer als eine Fünf-Cent-Münze.
    »Man nennt es das Rad der Geweihten«, erklärte Lucian, als er ihren fragenden Blick bemerkte. »Jede Zacke des Sterns steht für einen bestimmten Sonnenstand während des Jahres. Zum jeweiligen Zeitpunkt aktivieren die Sieben die Siegel, um den Fluss der Magie zu erneuern.«
    »Mabon«, warf Ravenna ein. »Oder Beltaine.«
    Der junge Krieger blickte sie überrascht an. Sonnenlicht fiel durch das Laub und warf helle Flecken auf seine Schultern und die Kruppe seines Pferdes. »Für eine Fremde kennt Ihr Euch sehr gut aus«, meinte er.
    Ravenna zuckte die Achseln. »Wie schon gesagt: Das habe ich meiner Schwester zu verdanken. Yvonne beschäftigt sich andauernd mit irgendwelchen Sonnenwendfeiern und keltischen Kalendern.«
    Lucian lächelte. »Mir scheint, Eure Schwester ist eine kluge Frau«, bemerkte er.
    »Das ist sie, das ist sie«, lachte Ravenna. »Sie hätte bestimmt Spaß daran, dir – euch allen – bei der Schwertleite zuzusehen.«
    Bei diesen Worten huschte ein Schatten über das hübsche Gesicht ihres Begleiters. »Oh, die Schwertleite. Noch weiß niemand, wer das Turnier gewinnt. Wenn Ritter Tade noch am Leben wäre, bräuchten wir gar kein Lanzenstechen abzuhalten«, murmelte Lucian.
    Ravenna schwieg. Offenbar hatte sie einen wunden Punkt getroffen, und sie wollte nicht weiter in ihn dringen. Während sie weiterritten, musterte sie ihren Begleiter von der Seite. Einfache Diener des Konvents – als solche hatte Chandler sich und die anderen Ritter bezeichnet. Wenn Lucian von magischen Angelegenheiten wirklich keine Ahnung hatte, sie aber für eine Hexe hielt, sollte er sich eigentlich vor ihr fürchten. So war es zumindest in jenem Mittelalter gewesen, das sie aus

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