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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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»Marlon! Ramon! Lucian! Ein bisschen Beeilung, wenn ich bitten darf! Wo bleiben die Schimmel?«
    Hinter der Tür roch es vertraut nach Heu und warmen Pferdeleibern. Im Halbdunkel erspähte Ravenna große Schatten, die sich gelassen bewegten. Ein Pferdestall gleich neben der Klosterpforte? Welches Bauamt in ihrer Zeit würde so etwas genehmigen?
    Chandler wandte ihr seine Aufmerksamkeit wieder zu. »Josce nahm an, dass Ihr so kurz nach Eurer Ankunft etwas verwirrt wärt und eine Menge Fragen stellt, die ich nicht beantworten kann. Deshalb schlug sie vor, dass Ihr heute Morgen einen Ausritt unternehmt, um den Odilienberg und die freie Reichsstadt Straßburg selbst in Augenschein zu nehmen. Sie glaubt, es wird Euch helfen, Eure Lage besser zu verstehen.«
    Gegen einen Ausritt hatte Ravenna nichts einzuwenden. Umso schneller gelangte sie in die Nähe des Hexenrings im Wald, an dem die Sieben ihre Beschwörung abgehalten hatten. Und umso eher erhielt sie eine Gelegenheit zur Rückkehr. »Sag Josce, dass ich ihr dankbar bin«, bat sie in versöhnlichem Ton und achtete darauf, dass ihre Worte nicht zu sehr nach Abschied klangen. »Danke Euch allen für die Gastfreundschaft.« Chandler schien sich über die freundlichen Worte zu freuen. Er nickte ihr zu, während er einem jungen Mann, der zwei Pferde am Zügel führte, die Stalltür aufhielt.
    Im ersten Moment hatte Ravenna nur Augen für die Pferde. Es waren Schimmel mit langen, schlanken Gliedern. Federnd tänzelten sie durch den Gang, und als sie auf den Vorplatz hinauskamen, schimmerten ihre Mähnen und Schweife wie gesponnenes Silber. Atemlos bestaunte Ravenna das kostbare Zaumzeug, das Brustgeschirr und die roten Satteldecken. Solche Gegenstände kannte sie nur aus dem Museum.
    »Ghost und Willow stammen von der Feeninsel, wie alle Pferde des Konvents«, erklärte Chandler, als er ihr Entzücken sah. »Kennt Ihr die Geschichte von der Königin, die sich darauf verstand, die edelsten Pferde des westlichen Reichs zu züchten und sie nur mit der Kraft ihrer Gedanken zu lenken?«
    »O ja, die kenne ich.« Gedankenversunken streichelte Ravenna den glatten Pferdehals. »Ihr Name war Rhiannon. So steht es in den Mabinogien geschrieben. Aber die Gabe brachte ihr kein Glück. Sie fiel in Ungnade und wurde selbst wie ein Pferd behandelt.« Sie schauerte, als sie an diese Geschichte dachte, ein Märchen voller Gewalt und Ungerechtigkeit.
    Chandler und der junge Ritter tauschten einen Blick. Da erst merkte Ravenna, dass sie sich bereits anhörte wie eines der Mädchen aus dem Speisesaal. »Die Mabinogien sind eine Sammlung von alten Schriftstücken«, ergänzte sie achselzuckend. »Meine Schwester arbeitet in der Bibliothek von Straßburg. Da kommt sie schon öfter mal mit solchen Ausleihen nach Hause.«
    »Ihr habt eine Schwester?«
    Zum ersten Mal hörte Ravenna die Stimme des jungen Ritters, der die Pferde am Zügel hielt. Sie sah ihn an. Er trug leichte Reitkleidung und war bei weitem nicht so schwer gepanzert wie Chandler. Sein braunes Haar glänzte in der Sonne, einige Strähnen fielen ihm in die Stirn. Auch wenn er übernächtigt wirkte und unrasiert war: Er gefiel ihr auf Anhieb, denn er besaß ein schmales, ebenmäßiges Gesicht mit hohen Wangenknochen und auffallend schönen Augen. Und ein wirklich süßes Lächeln, stellte sie fest. Plötzlich konnte sie die jungen Frauen verstehen, die darauf brannten, an der Schwertleite teilzunehmen und sich anschließend einen Gefährten zu suchen.
    »Meine Schwester ist besessen von allem, was mit Mittelalter, Rittern und Hexen zu tun hat. Manchmal glaube ich, sie sollte an meiner Stelle hier sein«, seufzte sie. »Es würde ihr gefallen.«
    Erstaunt hob der junge Mann die Augenbrauen. »Mittelalter?«, echote er, als höre er den Ausdruck zum ersten Mal.
    Ravenna lachte. Kopfschüttelnd straffte sie Willows Zügel und setzte den Fuß in den Steigbügel. Schon sprang der junge Ritter vor, um ihr in den Sattel zu helfen.
    »Danke, aber ich kann das sehr gut allein.« Schroff wies sie die helfende Hand zurück, griff nach Mähne und Sattellehne und saß mit gekonntem Schwung auf. »Wenn ich etwas so leidenschaftlich betreibe wie Yvonne ihren magischen Hexenzauber, dann das Reiten.«
    Lächelnd tätschelte Chandler ihrem Pferd den Hals. »Lucian wird Euch sicher zum Aussichtspunkt begleiten. Sein Befehl lautet, Euch anschließend wieder hierher zurückzubringen. Ich bitte Euch, fügt Euch seinen Anweisungen. Mein Freund ist zwar noch

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