Die Hexen - Roman
unseres Gegners, sich die Unterstützung des Stadtrats zu sichern. Man wird beobachten, was geschieht, und wenn wir den Marquis auf unlauterem Weg loswerden, fällt der Verdacht sofort auf uns. Es würde die Sache nur verschlimmern.«
»Na toll«, murmelte Ravenna. Ihr blieb noch ein Tag Zeit, um sich auf die Begegnung mit dem Marquis vorzubereiten. Ein einziger Tag.
»Einen hübschen Anhänger tragt Ihr da«, stellte Lucian fest. »Ist er besprochen?«
»Ist er was?«, wiederholte Ravenna und fasste verwirrt nach dem Triskel. »Ach, du meinst, mit einem magischen Spruch belegt oder so etwas? Nein, ganz sicher nicht. Es ist ein Geschenk meiner Schwester.« Die verschlungenen Wege, die zu magischen Geheimnissen führten. Plötzlich erinnerte sie sich an das Ritual in ihrer Küche, als wäre es gestern gewesen.
»Du kennst Beliar ebenfalls«, sagte sie herausfordernd. »Du sagtest, er sei der Wortführer dieser Teufelsbeschwörer. Aveline nannte ihn einen Dämon. Was ist er denn nun wirklich?«
Da war er wieder, der finstere Ausdruck, der Lucians hübsches Gesicht in Sekundenschnelle in eine kalte Maske verwandelte. »Er ist der Teufel«, stieß er hervor. »Der Fürst der Hölle, der König der Hexer. Nennt ihn, wie Ihr wollt. Tatsache ist, dass er Euch braucht, um das gestohlene Siegel zu benutzen. Den Ring der Tormagierin.«
Ravenna schluckte schwer. »Beliar will mich in seine Gewalt bekommen? Und dann soll ich ihm dabei behilflich sein, eure Welt und jede andere zu unterwerfen, in die er mit Hilfe von Melisendes Siegel gelangen kann? Ist es das, was du mir sagen willst?«
Lucian nickte. Ravenna starrte ihn an. Die Brauen über den dunklen Augen waren zusammengezogen, die Lippen aufeinandergepresst. Ihr Herz pochte hart gegen die Rippen. Lucians Aufmerksamkeit machte sie nervös. »Du weißt mehr, als du mir sagst«, beschwerte sie sich. »Da steckt doch noch etwas anderes dahinter. Irgendetwas passiert bei diesem Turnier. Aber was?«
Lucian wandte den Blick ab. Seine Finger spielten mit einer kleinen Ledertasche, die an seinen Schwertgurt genäht war, und er starrte aus dem Fenster. Endlich ballte er die Faust um den Gurt. »Seit ich auf dieser Burg lebe, gab es schon öfters ein Turnier. Nicht alle gehen gut aus. An manchen Tagen hat es Tote gegeben. Freunde von mir.«
»Noch mehr Tote?« Ravenna schauderte, als sie an die Leiche des unglücklichen, jungen Mannes dachte, die draußen auf dem Karren lag. Sie verschränkte die Arme. »Du weichst mir aus.«
»Tue ich das?« Lucians Blick kehrte zu ihr zurück und verursachte ein Kribbeln in der Magengrube. »Wie steht es denn mit Euch? Seid Ihr vollkommen aufrichtig zu den Sieben? Sie werden Euch noch öfter auf die Probe stellen. Wenn es etwas gibt, das sie wissen sollten, solltet Ihr besser ehrlich zu ihnen sein.«
Ravenna klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne und versuchte, nicht an den Fluch zu denken, der seit jenem dunklen Abend über ihr schwebte. Denn es war zweifellos ein Fluch gewesen, den der Einbrecher um sie gewebt hatte – daran hatte sie nun nicht mehr den geringsten Zweifel.
»Ich vermisse meine Schwester«, erklärte sie und es war nicht gelogen. »Gerade habe ich mich dazu verpflichtet, noch länger hierzubleiben. Weißt du, wie es nach der Schwertleite weitergeht?«
Der Ring, den Lucian an der Hand trug, blinkte, als er den Gurt losließ und den Arm sinken ließ. »Nein«, seufzte er. »Zumindest nicht in Eurem Fall. Es hängt wohl alles davon ab, wer das Turnier gewinnt.«
Als sie aufbrachen, blieb der junge Ritter unter dem Burgtor zurück. Constantins Krieger wechselten sich ab, wenn es darum ging, den Konvent auf dem Gipfel zu bewachen, und statt Terrell führte nun ein Mann namens Darlach den Zug der Hexen an. Es war der freundliche Ritter, der im Saal neben Esmee gesessen hatte.
Verstohlen blickte Ravenna über die Schulter zurück. Lucian hatte sich noch nicht abgewandt. Mit verschränkten Armen lehnte er im Torbogen und blickte den Reitern nach, bis sie hinter einer Wegbiegung verschwunden waren. Mit einem langen Atemzug wandte sie sich wieder nach vorn. Sie hatte sein Wort und glaubte ihm – so sehr, wie er selbst an sein Versprechen glaubte.
Der Ritt zurück zum Gipfel verlief ohne Zwischenfälle. Josce nutzte die Gelegenheit, um Ravenna so viel über Abwehrzauber und magische Verteidigungsmöglichkeiten beizubringen, wie in einer Stunde möglich war . Gleich nach ihrer Ankunft riefen die Sieben alle Mädchen in
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