Die Hexen von Eastwick
Darryl Van Hornes Bariton im Chor auf der
Empore kratzige Harmonien beigesteuert hatte), den Ausdruck «das
Böse» aus Brenda Parsleys Mund zu hören. Das war kein Wort, das
man öfter in diesem keuschen Kirchenschiff vernahm.
Brenda sah prächtig aus in ihrer offenen, schwarzen Robe, dem
gefältelten Jabot und der weißen Seidenkrawatte, das
sonnengebleichte Haar straff aus der hohen, hel en Stirn nach hinten
gekämmt. «Das Böse ist in der Welt, und das Böse ist in dieser Stadt»,
verkündete sie hell und laut, dann senkte sie die Stimme zu einem
leiseren, vertraulichen Ton, der dennoch bis in jede Ecke des alten,
neoklassischen Gotteshauses trug. Pinkfarbene Stockrosen nickten in
den unteren Scheiben der hohen, klaren Fenster; in den oberen
forderte ein wolkenloser Juli die Menschen, die in das weiße
Kirchengestühl eingepfercht waren, auf, nach draußen zu kommen,
nach draußen in ihre Boote, an den Strand, auf die Golf- und
Tennisplätze, sich eine Bloody Mary auf jemandes neuem
Rotholzdeck zu genehmigen, mit Blick auf die Bay und Conanicut
Island. Die Bay würde knistern vor Sonnenschein und die Insel so
unberührt und grünend aussehen, als lebten die Narragansett Indianer
noch dort. «Es ist kein Wort, das wir gern benutzen», erklärte Brenda
mit dem zögerlichen Tonfal eines Psychiaters, der nach Jahren
stummen Zuhörens schließlich begonnen hat, die Führung zu
übernehmen. «Wir ziehen es vor, ‹Unglück›, ‹Mangel›, ‹Verführung›
oder ‹Benachteiligung› zu sagen. Wir ziehen es vor, uns das Böse als
die Abwesenheit des Guten vorzustellen, als ein vorübergehendes
Nachlassen des Sonnenscheins, als einen Schatten, eine Schwächung.
Denn die Welt ist gut: Emerson und Whitman, Buddha und Jesus
haben uns das gelehrt. Unsere eigene, liebe, tapfere Anne Hutchinson
glaubte an ein Versprechen der Gnade im Gegensatz zu einer
Belohnung der Werke und trotzte – diese Mutter von fünfzehn
Kindern und gütige Hebamme für ungezählte und unzählbare
Schwestern dem sexistischen, weltverachtenden Klerus von Boston
um ihres Glaubens wil en, ein Glaube, für den sie am Ende sterben
mußte.»
Zum letztenmal, dachte Jenny Van Horne, sehen meine Augen das
klare Blau solch eines Julitages. Meine Lider heben sich, die Hornhäute
meiner Augen nehmen das Licht auf, meine Linsen bündeln es, meine
Netzhäute und der Sehnerv melden es dem Gehirn. Morgen werden die
Erdpole sich um einen weiteren Tag dem August und dem Herbst
zuneigen, und eine etwas andere Tinktur aus Licht und Dunst wird
entstehen. Das ganze Jahr über hatte sie, ohne es zu wissen, von jeder
einzelnen Jahreszeit Abschied genommen, von jeder
Zwischenjahreszeit und jedem Wetterwechsel, von jedem Moment
des stufenweisen Herbst-Übergangs von Farbenpracht zur Reife, des
winterlichen Frosts, des Tageslichts über dem härterwerdenden Eis,
und jenes Frühlingserwachens, wenn die Schneeglöckchen und
Krokusse aus braun verfilztem Gras, in der Wärme jenes intimen
Bereichs auf der Sonnenseite der Mauern, neu erblühten, wie wenn
Liebende ihren Atem gegen den Nacken des geliebten Menschen
hauchen; sie hatte Abschied genommen, denn das Rad der
Jahreszeiten würde sich für sie nicht noch einmal drehen. Tage, die
man so leichtfertig in Hast und Zerstreutheit verbringt, in der
Selbstbezogenheit der Jugend und der fröhlichen Langeweile der
Kindheit, für s ie gibt es wirklich ein Ende, der Himmel schließt sich wie der Verschluß einer gigantischen Kamera. Diese Bilder machten Jenny
auf ihrem Platz fast schwindelig. Greta Neff, die ihre Gedanken
spürte, langte zu ihr herüber und drückte ihre Hand.
«Indem wir uns nach außen gekehrt und dem Bösen draußen in der
Welt zugewendet haben», formulierte Brenda glänzend und blickte
aufwärts zur hinteren Empore mit der ungenutzten Pfeifenorgel und
dem winzigen Chor, «unsere Entrüstung nach draußen gerichtet
haben, gegen das Böse in Südostasien, verübt von faschistischen
Politikern und einem grausamen Kapitalismus, der seine Märkte für
antiökologische Luxusgüter zu sichern und zu erweitern sucht, in dem
wir uns al dem zugewandt haben, sind wir schuldig geworden – ja,
schuldig, denn Schuld liegt ebenso im Unterlas en wie im Zulassen –
schuldig, weil wir über das Böse hinweggesehen haben, das sich in den
Häusern von Eastwick, unseren eigenen ruhigen, solide wirkenden
Heimen zusammenbraut. Private Unzufriedenheit und persönliche
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